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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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bisexuelles Äußeres, aber dieses
Aussehen strebte ich an.
    Larry zog mich gerne mit meinem »utopischen Androgynieverständnis«
(wie er es nannte) auf; in seiner Generation lehnten sogenannte befreite
Schwule »weibische« Züge grundsätzlich ab. Ich weiß, dass Larry dachte, ich
würde mich tuntig geben (und anziehen) – wahrscheinlich sah ich deshalb für ihn
wie ein Passiver statt wie ein Aktiver aus.
    Ich selbst dagegen sah mich wie einen fast normalen Mann; mit
»normal« meine ich, dass ich nie etwas mit Leder oder den bescheuerten
Taschentuch-Signalen zu tun hatte. In New York spielte sich damals – wie in den
meisten amerikanischen Städten in den Siebzigern – die Suche nach schnellem Sex
meist auf der Straße ab. Damals wie heute gefiel mir der androgyne Look –
außerdem konnte ich androgyn und Androgynität schon immer problemlos aussprechen.
    »Du bist ein hübscher Junge, Bill«, sagte Larry oft zu mir, »aber
bilde dir ja nicht ein, du könntest ewig gertenschlank bleiben. Du brauchst
nicht zu glauben, du könntest dich aufstylen, oder sogar im Fummel gehen, und
damit [201]  auch nur so viel an den Machocodes ändern, gegen die du rebellierst.
Weder wirst du je ändern, wie richtige Männer sind, noch selber je einer sein!«
    »Ja, Herr Professor«, antwortete ich knapp.
    Wenn ich in den legendären Siebzigern einen Typen aufriss oder mich
aufreißen ließ, gab es immer den Moment, in dem ich ihn an den Arsch fasste;
wenn er sich gerne ficken ließ, fing er dann an zu stöhnen und sich zu winden –
nur um mir zu verstehen zu geben, dass ich genau richtig lag. Aber wenn sich
rausstellte, dass er ein Aktiver war, ließ er sich auf eine extraschnelle 69er
ein, und das war’s; gelegentlich wurde eine extra grobe 69er draus (wenn sich die »Machocodes«, wie Larry sagte, durchsetzten und nicht
mein »utopisches Androgynieverständnis«).
    Auf lange Sicht vergraulte mich Larrys übertriebene Eifersucht;
selbst wenn man so jung ist wie ich es damals war, gibt es gewisse Grenzen, wie
lange man Bewunderung als Ersatz für Liebe aushält. Wenn Larry annahm, dass ich
mich mit einem anderen rumgetrieben hatte, versuchte er mein Arschloch
abzutasten – auf der Suche nach Körperflüssigkeit oder zumindest einem
Gleitmittel. »Ich bin der aktive Partner, wann begreifst du das endlich?«,
sagte ich ihm dann. »Beschnüffel lieber meinen Schwanz.« Aber Larrys Eifersucht
war völlig irrational; obwohl er mich in- und auswendig kannte, redete er sich
ein, mit einem anderen könnte ich den passiven Partner abgeben.
    Als ich Larry in Wien kennenlernte, entwickelte er sich gerade zum
Opernkenner – ursprünglich war er wegen der Oper nach Wien gekommen. Wie ich
zum Teil ja auch. Nicht umsonst hatte Miss Frost mich zu einem [202]  leidenschaftlichen
Leser von Romanen des 19. Jahrhunderts gemacht. Die Opern, die ich liebte, basierten auf
Romanen des 19. Jahrhunderts!
    Lawrence Upton hatte sich als Lyriker bereits einen Namen gemacht,
wollte aber schon immer mal ein Libretto schreiben. (» Reimen kann ich schließlich schon, Bill.«) Sein Traum war, eine Schwulen-Oper zu
verfassen. Als Lyriker war er sehr streng mit sich; vielleicht stellte er sich
vor, als Librettist entspannter sein zu können. So gern er auch eine
Schwulen-Oper schreiben wollte, hatte Lawrence Upton doch noch nie im Leben ein
offen schwules Gedicht verfasst – worüber ich mich endlos ärgern konnte.
    In Larrys Oper führt eine zynische Königin – die große Ähnlichkeit
mit Larry hat – als Erzählerin durch das Geschehen. Sie singt ein bewusst
idiotisches Klagelied – wie es sich reimt, habe ich vergessen. »Zu viele
Indianer, nicht genug Häuptlinge«, klagt die Erzählerin. »Zu viele Hühner,
nicht genug Hähne.« Das war schon sehr entspannt.
    Es gibt einen Chor der Passiven – haufenweise Passive, natürlich –
und einen witzigerweise viel kleineren Chor der Aktiven. Hätte Larry seine Oper
weitergeschrieben, hätte er womöglich einen mittelgroßen Chor der Bären
hinzugefügt, aber die Bärenbewegung fing erst Mitte der achtziger Jahre an –
diese großen, ungepflegten behaarten Typen, extra verschlampt, die gegen die
herausgeputzten, ultragepflegten Männer mit ihren rasierten Eiern und
Fitnessstudiokörpern rebellierten. (Wie erfrischend diese Bären anfänglich doch
waren!)
    Natürlich wurde aus Larrys Libretto nie eine Oper; seine
Librettistenlaufbahn brach mittendrin ab. Larry sollte [203]  nur als Lyriker
bekannt

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