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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Ich tippte eher auf seine offenherzige Mutter.
    Esmeraldas Vermieterin freute sich über die Aufstockung der Miete;
wahrscheinlich wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, dass zwei Leute sich
Esmeraldas Apartment mit der winzigen Küche teilen könnten, aber wir beide
kochten nie – wir gingen zum Essen immer aus.
    Esmeralda sagte, die Laune ihrer Vermieterin habe sich seit meinem
Einzug gebessert; auch wenn sie Esmeraldas festen Freund mit Stirnrunzeln
quittierte, schienen die zusätzlichen Mieteinnahmen sie gnädiger zu stimmen.
Selbst ihr hässliches Hündchen fand sich mit mir ab.
    An jenem Abend, als Esmeralda und ich, ohne uns anzufassen, auf
ihrem Bett saßen, hatte die alte Dame uns zuvor ins Wohnzimmer gebeten, um uns
zu zeigen, dass sie und ihr Hund einen amerikanischen Film im Fernsehen sahen. Esmeralda
und ich standen noch beide unter Kulturschock; man erholt sich nicht so rasch
davon, Gary Cooper deutsch reden zu hören. Ich fragte mich immer wieder: »Wie
konnten sie nur High Noon synchronisieren?«
    Der Fernseher war bis in Esmeraldas Zimmer zu hören. Tex Ritter sang
»Do Not Forsake Me«.
    »Wenigstens haben sie Tex Ritter nicht auch synchronisiert «,
sagte Esmeralda gerade, als ich – ganz behutsam – ihre perfekten Brüste
berührte. »Pass mal auf, Billy«, sagte sie, während sie sich anfassen ließ. (Ich
merkte, dass sie das nicht zum ersten Mal sagte; vor meiner Zeit, so erfuhr ich [218]  später, hatte diese Rede alle ihre Freunde in die Flucht geschlagen. Mich
nicht.)
    Das Kondom hatte ich nicht bemerkt, bis sie es mir in die Hand
drückte – es steckte noch in seiner glänzenden Verpackung. »Du musst das hier
überziehen, Billy – selbst wenn das blöde Ding platzt, ist es sicherer.«
    »Okay«, sagte ich und nahm es.
    »Aber die Sache ist die – jetzt kommt das Schwierige, Billy –, bei
mir geht gar nichts außer anal. Anderen Verkehr
erlaube ich nicht – ausschließlich anal«, wiederholte sie, diesmal in
beschämtem Flüsterton. »Ich weiß, dass es für dich eine Notlösung ist, aber so
ist es nun mal. Anal oder gar nicht«, erklärte Esmeralda mir.
    »Oh.«
    »Ich kann verstehen, wenn das nichts für dich ist, Billy«, sagte
sie.
    Bloß nicht zu viel verraten, dachte ich. Ihr Vorschlag war für mich
alles andere als eine »Notlösung« – ich mochte Analsex! Von wegen Abschreckung – ich war erleichtert. Die gefürchtete Ballsaal -Erfahrung
war mir noch mal entgangen! Aber ich wusste, ich musste behutsam vorgehen und
durfte mir meine Begeisterung nicht anmerken lassen.
    Als ich sagte: »Ich bin ein bisschen nervös – es ist mein erstes
Mal«, war das nicht ganz gelogen. (Allerdings ließ ich den wichtigen Zusatz
»mit einer Frau« weg!)
    Esmeralda stellte ihren Plattenspieler an. Sie legte die berühmte
61er-Aufnahme von Donizettis Lucia di Lammermoor auf – mit Joan Sutherland in der Rolle der dem Wahnsinn verfallenden Lucia. (Da
merkte ich, dass Esmeralda an diesem Abend nicht ihre deutsche Aussprache üben
wollte.) [219]  Wenigstens war Donizetti eine romantischere Begleitmusik als Tex
Ritter.
    Und so begann mein erstes Abenteuer mit einer Frau – mit einer
Notlösung, die für mich keine war. Das »gar nichts außer anal« stimmte nicht
ganz, denn wir sollten jede Menge Oralsex haben. Vor Oralsex hatte ich keine
Hemmungen, und Esmeralda liebte ihn geradezu – er brachte sie zum Singen, sagte
sie.
    Nur die Ballsaal-Erfahrung stand noch aus – und darauf konnte ich
gut und (nur zu) gern warten.
    Es kam zu jenen Après-Sex-Situationen, wenn ich im Halbschlaf oder
Dämmerzustand vergaß, dass ich mit einer Frau zusammen war, die Hand
ausstreckte und ihre Vagina berührte – nur um die Hand plötzlich wie überrascht
zurückzuziehen. (Ich hatte nach Esmeraldas Penis gegriffen.)
    »Armer Billy«, sagte Esmeralda dann, weil sie meine flüchtige
Berührung falsch verstand – sie glaubte, ich wollte in ihrer Vagina sein und fühlte mich zurückgewiesen, weil es mir verwehrt war.
    »Ich bin nicht der ›arme Billy‹, sondern der glückliche,
rundum befriedigte Billy«, sagte ich ihr dann immer.
    »Du trägst es wirklich mit Fassung«, sagte Esmeralda darauf. Sie
hatte keine Ahnung, wie zufrieden ich war, und wenn ich die Hand ausstreckte
und ihre Vagina berührte – manchmal im Schlaf, jedenfalls nicht bei vollem
Bewusstsein –, hatte Esmeralda keinen blassen Schimmer, wonach ich griff:
etwas, das sie nicht besaß und das mir wohl gefehlt haben muss.
    [220]  Der

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