Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
übergeben«, sagte Esmeralda da
gerade.
    Als wir in der Schwindgasse ankamen, war es spät: Esmeralda hatte
sich übergeben, als wir den Karlsplatz überquerten, sagte aber, nun ginge es
ihr besser. Die Vermieterin und ihr hässliches Hündchen waren schlafen
gegangen; im Wohnzimmer war es dunkel, der Fernseher war aus.
    »Nicht Verdi«, sagte Esmeralda, als sie mich unentschlossen vor dem
Plattenspieler stehen sah. Ich wählte Joan Sutherland mit dem, was alle ihre
»Erkennungsmelodie« nannten. Weil ich wusste, wie gern Esmeralda Lucia di Lammermoor mochte, legte ich die Platte ganz sanft
auf.
    »Heute ist deine große Nacht, Billy – und meine. Ich hatte auch noch
nie Vaginalsex. Es spielt keine Rolle mehr, ob ich schwanger werde. Wenn eine
Zweitbesetzung hinschmeißt, war’s das – es ist aus«,
sagte Esmeralda; sie hatte sich die Zähne geputzt und das Gesicht gewaschen,
war aber wohl immer noch nicht ganz nüchtern.
    »Das ist doch verrückt«, sagte ich ihr. » Natürlich macht es was, wenn du schwanger wirst. Du wirst jede Menge andere Chancen
bekommen, Esmeralda.«
    »Pass auf – willst du es in meiner Möse versuchen oder [235]  nicht?«,
fragte mich Esmeralda. »Ich will es in meiner Möse versuchen – ich bitte dich drum, meine Güte! Ich will wissen, wie es sich
da anfühlt!«
    »Oh!«
    Natürlich benutzte ich ein Kondom; ich hätte zwei von den Dingern
übergezogen, wenn sie es von mir verlangt hätte. (Sie war eindeutig noch etwas
beschwipst – keine Frage.)
    Und so passierte es. An dem Abend, an dem unser Präsident starb,
hatte ich zum ersten Mal Vaginalverkehr – und es gefiel mir richtig gut. Ich glaube, während Lucias Wahnsinnsarie hatte Esmeralda ihren sehr lauten
Orgasmus; um ehrlich zu sein, ich werde wohl nie erfahren, ob Joan Sutherland
oder Esmeralda das hohe Es traf. Diesmal wurden mir nicht die Ohren von ihren
Schenkeln zugehalten; das Hündchen der Vermieterin konnte ich noch kläffen
hören, aber mir klangen die Ohren.
    »Heilige Scheiße !«, hörte ich Esmeralda
rufen. »Das war erstaunlich !«
    Ich staunte selbst (und war erleichtert); es hatte mir nicht nur richtig gut gefallen – ich stand drauf! War es genauso gut wie (oder besser als) Anal verkehr?
Tja, es war anders. Wenn mich jemand fragt, gebe ich
immer die diplomatische Antwort, dass ich analen und vaginalen Sex »gleich
gern« mag. Was das anging, waren meine Befürchtungen unbegründet gewesen.
    Doch leider Gottes reagierte ich ein wenig langsam auf Esmeraldas
»Heilige Scheiße !« und ihr »Das war erstaunlich !« Ich dachte daran, wie gut es mir gefallen
hatte, sagte es aber nicht.
    [236]  »Billy?«, fragte Esmeralda. »Wie war es für dich? Hat es dir
gefallen?«
    Wissen Sie, nicht nur Schriftsteller haben dieses Problem, aber bei
Schriftstellern ist es ganz besonders schlimm; unsereins kann einen sogenannten
Gedankenfaden, wenn wir ihn erst einmal spinnen, nicht mehr kappen.
    Ich sagte: »Absolut kein Ballsaal.« Nach allem, was die arme
Esmeralda an diesem Tag durchgemacht hatte, bekam sie das von mir zu hören.
    »Kein was ?«, fragte sie.
    »Ach, das ist nur so ein Ausdruck aus Vermont !«,
beeilte ich mich zu versichern. »Es hat überhaupt nichts zu sagen. Ich weiß
nicht mal so richtig, was ›kein Ballsaal‹ bedeutet – es lässt sich nicht gut
übersetzen.«
    »Warum um alles in der Welt sagst du was Negatives ?«,
fragte mich Esmeralda. »›Kein‹ irgendwas ist negativ – ›kein Ballsaal‹ klingt
nach großer Enttäuschung, Billy.«
    »Nein, nein – ich bin nicht enttäuscht.
Ich fand’s toll in deiner Möse!«, rief ich. Das
hässliche Hündchen kläffte wieder; Lucia wiederholte sich – sie war an den
Anfang zurückgesprungen, als sie noch die vertrauensvolle, aber leicht aus dem
Gleichgewicht zu bringende junge Braut war.
    »Ich bin also ›kein Ballsaal‹ – so als wär ich bloß eine Turnhalle
oder eine Küche oder irgend so was«, sagte Esmeralda. Und dann kamen die Tränen – ihre Tränen um Kennedy, um ihre erste und einzige Chance als Sopran- Erst besetzung, um ihre geschmähte Möse – jede Menge Tränen.
    Etwas wie »Absolut kein Ballsaal« kann man nicht zurücknehmen; so
etwas sollte man einfach nie und nimmer [237]  nach seinem ersten Vaginalverkehr
sagen. Natürlich konnte ich auch nicht zurücknehmen, was ich zu Esmeralda über
ihr politisches Engagement gesagt hatte – über ihre mangelnden künstlerischen
Ambitionen.
    Diese Weihnachten und über den Jahreswechsel

Weitere Kostenlose Bücher