In einer Person
er zu
ungeduldig.
In dem Jahr, als Kittredge seinen Schulabschluss hätte machen sollen, war es eindeutig kontraproduktiv, dass ich ihm bei
den Hausaufgaben half; denn dass Kittredge meine Übersetzungen praktisch
abschrieb, nützte ihm bei den Klausuren, die er allein schreiben musste,
natürlich nichts. Ich wollte unbedingt verhindern, dass Kittredge Deutsch III in den Sand setzte; ich ahnte, welche Folgen es
haben würde, müsste er die zwölfte Klasse wiederholen, wenn ich auch
Zwölftklässler war. Es fiel mir aber schwer, ihm seine Bitte um Hilfe
abzuschlagen.
»Es ist schwer, ihm irgendetwas abzuschlagen, Punkt«, sagte Elaine
später. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich da noch nicht wusste, dass die beiden
etwas miteinander hatten.
In diesem Winterhalbjahr gab es mehrere Vorsprechen für, wie Richard
Abbott es nannte, »den Frühlings-Shakespeare« – im Unterschied zu dem
Shakespeare, den er im Herbst inszeniert hatte. Auf der Favorite River Academy
ließ Richard uns Jungs manchmal auch im Winter Shakespeare aufführen.
Ich gebe es ungern zu, aber die trotz all der Shakespeare-Stücke
wachsende Beliebtheit unserer Schulaufführungen ging meiner Ansicht nach in
erster Linie auf den [241] Neuzugang Kittredge im Theaterclub zurück. Als Richard
bei der Morgenversammlung die Liste der Mitwirkenden von Was
ihr wollt vorlas, war das Interesse größer als gewöhnlich. Die Liste
hing später im Speisesaal der Academy aus, wo die Schüler sogar anstanden, um
zu sehen, wer in welcher Rolle mitspielte.
Unser Lehrer und Regisseur Richard Abbott war Orsino, Herzog von
Illyrien. Richard, als Herzog, beginnt Was ihr wollt mit den vertrauten, vielzitierten Zeilen: »Wenn die Musik der Liebe Nahrung
ist, spielt weiter!«, ein Thema, zu dem ihm meine Mutter nicht soufflieren
musste.
Orsino gesteht seine Liebe zunächst Olivia, einer von meiner
missmutigen Tante Muriel gespielten Gräfin. Olivia weist den Herzog ab, der
sich (unverzüglich) in Viola verliebt, wodurch Orsino zu einer ständig etwas
deklamierenden Figur wird – die »vielleicht mehr in die Liebe verliebt ist als
in eine der beiden Damen«, wie es Richard Abbott formulierte.
Ich dachte immer, dass Muriel die Rolle der Gräfin bestimmt gern
annahm – da Olivia Orsino als Geliebten zurückweist. Richard war für Muriel
immer noch etwas zu sehr Hauptdarsteller; in Gegenwart ihres gutaussehenden
Schwagers war sie nie ganz entspannt.
Elaine war als Viola besetzt, später verkleidet als Cesario. Elaine
reagierte darauf mit der Bemerkung, Richard habe vorhergesehen, dass Viola sich
als Cesario in Männerkleidung werfen musste – »Viola muss flachbrüstig sein, da sie im Stück eine ganze Zeitlang ein Kerl ist«, wie es
Elaine mir gegenüber formulierte.
Ich fand es sogar ein wenig daneben, dass Orsino und [242] Viola am
Ende ein Liebespaar werden – schließlich war Richard erheblich älter als Elaine –, doch Elaine schien das egal zu sein. »Ich glaube, damals wurden die Mädchen
jünger verheiratet«, lautete ihr einziger Kommentar dazu. (Mit ein bisschen
mehr Grips wäre ich vielleicht auf die Idee gekommen, dass Elaine bereits im
wahren Leben einen Liebhaber hatte, der älter war als sie!)
Ich bekam die Rolle des Sebastian – Violas Zwillingsbruder. »Für
euch zwei ist das ideal«, sagte Kittredge zu Elaine und mir von oben herab.
»Ihr habt schon ein Bruder-Schwester-Ding am Laufen, das sieht doch jeder.«
(Damals bekam ich das nicht mit; offenbar hatte Elaine Kittredge erzählt, sie
und ich seien nur platonisch aneinander interessiert.)
Ich gebe zu, ich war abgelenkt; dass Muriel – als Olivia – zuerst in
(die als Cesario verkleidete) Elaine verknallt ist und sich später in mich, Sebastian, verliebt – nun, das war schon eine echte
Prüfung für die zuvor erwähnte »willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit«. Für
mich war es unvorstellbar, mich in Muriel zu verlieben – weshalb ich stoisch
den Opernsängerinnenbusen meiner Tante fixierte. Kein einziges Mal schaute
dieser Sebastian in die Augen dieser Olivia, nicht
einmal, als Sebastian ausruft: »Soll ich so träumen, gern erwach’ ich nie.«
Oder als Olivia, die genauso eine herrische Art hatte wie Muriel,
verlangt: »Folg in allem meinem Rat!«
Ich, als Sebastian, glotzte starr geradeaus auf die Brüste meiner
Tante Muriel, die sich absurderweise für mich in Augenhöhe befanden, und
antwortete ihr verliebt: »Ja, Fräulein, gern.«
[243] »Denk dran, Bill«, sagte
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