In eisige Höhen
schwerfällt, um mich auch nur von der Stelle zu bewegen«. Mit heiserer, kaum verständlicher Stimme krächzte Rob: »Harold war gestern nacht bei mir, aber jetzt scheint er irgendwie nicht mehr da zu sein. Er war sehr schwach.« Dann, in offensichtlicher Verwirrung, fragte er: »War Harold bei mir? Könnt ihr mir das sagen?« 36
Hall hatte zu dem Zeitpunkt zwei volle Sauerstoff-Flaschen zu seiner Verfügung; da aber die Ventile seiner Maske vereist waren, konnte er den Sauerstoff nicht zum Fließen bringen. Er erwähnt jedoch kurz, daß er dabei sei, das Gerät zu enteisen, »was«, wie Cotter erzählt, »alle ein wenig aufatmen ließ. Zum ersten Mal kriegen wir was Positives von ihm zu hören.«
Um 5 Uhr stellte das Basislager einen Anruf über Satellitentelefon an Jan Arnold durch, Halls Frau in Christchurch, Neuseeland. Sie war mit Hall 1993 auf den Gipfel des Everest geklettert und machte sich keine Illusionen über den Ernst der Lage, in der ihr Mann sich befand. »Ich habe fast allen Mut verloren, als ich seine Stimme gehört habe«, weiß sie noch. »Er hat die Worte kaum noch rausbekommen. Er klang wie Major Tom oder so was, so als würde er einfach davonschweben. Ich war ja auch oben gewesen. Ich habe gewußt, wie es einem bei schlechtem Wetter ergehen kann. Rob und ich hatten darüber gesprochen, wie unmöglich es ist, jemanden vom Gipfelgrat zu bergen. Wie er selbst es ausgedrückt hat: ›Da kannst du genausogut auf dem Mond sein.‹«
Um 5 Uhr 31 nahm Hall vier Milligram Dexamethason ein und sagte, daß er immer noch versuche, seine Sauerstoffmaske vom Eis zu befreien. In den Gesprächen mit dem Basislager fragte er ständig danach, wie es um Makalu Gau, Fischer, Beck Weathers, Yasuko Namba und seine anderen Kunden stünde. Die größten Sorgen machte er sich um Andy Harris. Immer wieder wollte er wissen, wo Harris abgeblieben war. Cotter erzählt, daß sie versucht haben, das Gespräch von Harris wegzulenken, der aller Wahrscheinlichkeit nach tot war, »weil wir nicht wollten, daß Rob einen weiteren Grund hat, oben zu bleiben. Einmal hat sich Ed Viesturs auf Camp Zwei am Radio dazwischengeschaltet und ihm vorgeschwindelt: ›Mach dir keine Sorgen um Andy. Er ist hier unten bei uns.‹«
Etwas später fragte Mackenzie Rob, wie es Hansen ging. »Doug«, erwiderte Rob, »ist weg.« Mehr sagte er nicht, und es war das letzte Mal, daß er Hansen erwähnte.
Als David Breashears und Ed Viesturs am 23. Mai den Gipfel erreichten, war von Hansens Leiche weit und breit nichts zu sehen. Etwa 15 Höhenmeter oberhalb des Südgipfels, an einer sehr ungeschützten Stelle im Gipfelgrat, an der die Fixseile endeten, fanden sie jedoch einen Eispickel. Es ist durchaus möglich, daß Hall und/oder Harris es geschafft hatten, Hansen an den Seilen entlang bis zu dieser Stelle hinunterzuhieven, wo er dann jedoch das Gleichgewicht verlor und über 2000 Meter tief die Südwestflanke hinunterstürzte. Vielleicht saß der Eispickel genau an der Stelle im Grat fest, an der Hansen ausrutschte. Aber auch dies ist reine Spekulation.
Welches Schicksal Harris ereilte, ist ein noch viel größeres Rätsel. Aufgrund Lopsangs Augenzeugenbericht, Halls Funk-rufen und der Tatsache, daß auf dem Südgipfel ein weiterer Eispickel gefunden wurde, der eindeutig als Andys identifiziert werden konnte, ist es mehr als nur wahrscheinlich, daß er die Nacht vom 10. auf den 11. Mai mit Rob Hall auf dem Südgipfel verbrachte. Darüber hinaus ist jedoch nicht bekannt, wie der junge Bergführer ums Leben kam.
Um 6 Uhr fragte Cotter Hall, ob ihn bereits die ersten Sonnenstrahlen erreicht hätten. »Fast«, antwortete Hall – was wie ein Hoffnungsschimmer war, denn erst kurz zuvor hatte er erwähnt, daß er wegen der fürchterlichen Kälte von einem unkontrollierbaren Schütteln ergriffen war. In Verbindung mit seiner früheren Bemerkung, daß er sich nicht mehr fortbewegen konnte, war dies für die Leute unten eine schlimme Nachricht gewesen. Und dennoch war es bemerkenswert, daß Hall überhaupt noch lebte, nachdem er in 8 750 Meter Höhe eine ganze Nacht schutzlos in orkanartigen Winden und einer Windkälte von minus fünfundsiebzig Grad durchgemacht hatte.
Hall fragte auch diesmal wieder nach Harris: »Hat gestern nacht irgend jemand außer mir Harold gesehen?« Etwa drei Stunden später war Rob immer noch von der Frage besessen, wo Andy abgeblieben war. Um 8 Uhr 43 sinnierte er über Funk: »Ein paar Sachen von Andys Ausrüstung sind immer
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