In eisige Höhen
und mit jedem Tag schwanden die Kraftreserven der Bergsteiger. Als das Unwetter schließlich abklang, gelang es nur Diemberger und einem Gefährten, lebend von dem Berg herunterzukommen.
Samstag morgen, während wir uns darüber austauschten, wie wir mit Namba und Beck verfahren und ob wir nun absteigen sollten oder nicht, rief Neal Beidleman Fischers Team vor den Zelten zusammen und trieb sie mit militärischem Schmiß dazu an, sich vom Südsattel aufzumachen. »Die Leute waren von der Nacht zuvor dermaßen fertig und durcheinander, daß man sie kaum aus den Zelten kriegen konnte – ein paar Leute mußte ich praktisch mit Gewalt in ihre Stiefel zwingen«, erzählt er. «Aber ich habe nicht lockergelassen und wollte unbedingt gleich aufbrechen. Meiner Ansicht nach kann das nicht gutgehen, wenn man sich länger als absolut notwendig in 7.900 Meter Höhe aufhält. Die Bergungsaktionen für Scott und Rob waren angelaufen, also habe ich mich voll darauf konzentriert, wie ich unsere Kunden vom Sattel auf ein niedriger gelegenes Lager kriege.«
Während Boukreev zurückblieb, um auf Fischer zu warten, trieb Beidleman seine Leute nach und nach vom Südsattel. Bei Meter 7.600 hielt er an, um Pittman eine Dexamethason-Spritze zu verabreichen, und dann machten alle längere Zeit auf Camp Drei Rast, um sich auszuruhen und den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. »Als ich die Leute gesehen habe«, erzählt David Breashears, der auf Camp Drei war, als Beidleman dort eintraf, »habe ich meinen Augen nicht getraut. Sie haben ausgesehen, als kämen sie gerade aus einem fünf Monate währenden Krieg zurück. Sandy war mit den Nerven völlig fertig – sie hat gebrüllt: ›Es war schrecklich! Ich hab aufgegeben, mich hingelegt und wollte sterben!‹ Sie schienen alle unter schwerem Schock zu stehen.«
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit, als die letzten Nachzügler von Beidlemans Troß sich an dem steilen Eis der Lhotse-Flanke hinunterarbeiteten, wurden sie etwa 150 Meter vor Ende der Fixseile von ein paar Sherpas einer nepalesischen Säuberungsaktion in Empfang genommen. Die Sherpas waren hochgeklettert, um ihnen zu helfen. Als sie ihren Abstieg wiederaufnahmen, kamen plötzlich vom oberen Teil des Berges salvenweise pampelmusengroße Gesteinstrümmer hinuntergeschossen. Ein Sherpa wurde am Hinterkopf getroffen. »Der Stein hat ihn voll von den Beinen geholt«, erzählt Beidleman, der nur ein Stück weiter oben gestanden und das Unglück mit angesehen hatte.
»Es war schauderhaft«, weiß Klev Schoening noch. »Es hat so geklungen, als ob er einen Schlag mit einem Baseballschläger abbekommen hätte.« Die Wucht des Aufpralls war so groß, daß
dem Sherpa ein silberdollargroßer Splitter seines Schädels herausgehackt wurde. Er verlor sofort das Bewußtsein und erlitt einen Herz-Lungen-Stillstand. Er stürzte vornüber und rutschte am Seil entlang hinab. Schoening sprang vor ihn und schaffte es, seinen Sturz aufzuhalten. Einen Moment später jedoch, als Schoening den Sherpa in den Armen hielt, kam ein zweiter Fels-brocken auf den Sherpa herabgeschossen; wieder wurde er voll am Hinterkopf getroffen.
Trotz des zweiten Treffers keuchte der Verwundete nach ein paar Minuten wild auf und fing wieder an zu atmen. Beidleman schaffte es, ihn an den Fuß der Lhotse-Flanke hinunterzuhieven, wo ein Dutzend Sherpa-Teamgefährten auf sie warteten und den Mann nach Camp Zwei hinabtrugen. Nachdem all dies passiert war, erzählt Beidleman, »haben Klev und ich uns nur ungläubig angeschaut und uns gefragt: ›Was ist hier eigentlich los? Was haben wir Schlimmes getan, daß dieser Berg so wütend auf uns ist?‹«
Den ganzen April über bis in den Mai hinein hatte Hall sich wiederholt besorgt darüber geäußert, daß eines oder mehrere der weniger tauglichen Teams durch ein paar dumme Schnitzer in ernste Schwierigkeiten geraten könnten. Unser Team, das gezwungen wäre, sie zu bergen, würde dadurch um seine Gipfelchancen betrogen werden. Nun war es – Ironie des Schicksals – Halls Expedition, die tief in der Patsche saß, und es war an den anderen Teams, uns zu Hilfe zu eilen. Drei dieser Teams – Todd Burlesons Alpine Ascents International Expedition, David Breashears IMAX-Expedition und Mal Duffs kommerzielle Expedition – verlegten sofort ihre eigenen Gipfelpläne, um den angeschlagenen Bergsteigern zu helfen.
Am Vortag – Freitag, den 10. Mai –, während wir alle aus Halls und Fischers Teams von Camp Vier zum Gipfel kletterten,
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