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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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dieses wütenden Sturms ausgesetzt – aber allein die Vorstellung war so schlimm, daß ich versuchte, sie zu verdrängen.
    Kurz vor Morgengrauen – es war nun Sonntag, der 12. Mai ging Stuart der Sauerstoff aus. »Ich habe sofort gespürt, wie mir ohne ihn immer kälter wurde und wie ich langsam an richtiger Unterkühlung litt«, sagte er. »Nach und nach wich das Gefühl aus Händen und Füßen. Ich hatte Angst, daß es mit mir langsam zu Ende geht, daß ich es nicht mehr vom Südsattel schaffe. Und dann hatte ich Angst, daß, wenn ich am Morgen nicht runter-komme, dann schaffe ich's nie.« Ich gab Stuart meine Sauerstoff-Flasche, durchstöberte das Zelt, bis ich eine andere fand, in der noch ein wenig drin war, und wir machten uns daran, für den Abstieg zu packen.
    Als ich mich schließlich hinauswagte, sah ich, daß zumindest eines der unbenutzten Zelte völlig vom Bergsattel geweht worden war. Dann bemerkte ich Ang Dorje, den Robs Tod so schwer getroffen hatte, daß er in Tränen zerflossen allein im stürmischen Wind stand. Als ich seiner kanadischen Freundin Marion Boyd nach der Expedition von Ang Dorjes Trauer erzählte, erklärte sie mir, daß »Ang Dorje es als seine Aufgabe in dieser Welt ansieht, Menschen zu schützen – wir haben sehr viel miteinander darüber geredet. Es ist absolut wichtig für ihn im Zusammenhang mit seinem Glauben und dafür, sich auf das nächste Leben vorzubereiten. 39
    Obwohl Rob der Expeditionsleiter war, betrachtete Ang Dorje sich dafür verantwortlich, die Sicherheit von Rob, Doug Hansen und den anderen zu gewährleisten. Als sie starben, konnte er nicht anders, als sich selbst die Schuld dafür zu geben.«
    Hutchison befürchtete, daß Ang Dorje sich in all seiner Verzweiflung weigern würde, den Weg nach unten anzutreten. Er flehte ihn daher förmlich an, sofort vom Südsattel abzusteigen. Um 8 Uhr 30 dann – in der Annahme, daß Rob, Andy, Doug, Scott, Yasuko und Beck zweifellos alle tot waren – raffte sich ein unter schlimmen Erfrierungen leidender Mike Groom aus seinem Zelt auf, versammelte humpelnd Hutchison, Taske, Fischbeck und Kasischke um sich und führte sie den Berg hinunter.
    Da wir zwei Bergführer verloren hatten, erklärte ich mich bereit, als letzter zu gehen und die Nachzügler hinunterzuführen. Als unsere verzagte, angeschlagene Truppe dann langsam von Camp Vier in Richtung des Genfer Sporns aufbrach, riß ich mich noch einmal zusammen und schaute ein letztes Mal bei Beck vorbei, von dem ich annahm, daß er letzte Nacht gestorben war. Sein Zelt, das ich erst ausfindig machen mußte, war vom Orkan praktisch flach zu Boden geweht worden, und die Eingänge waren sperrangelweit geöffnet. Als ich hineinspähte, stellte ich völlig schockiert fest, daß Beck noch lebte.
    Er lag, von einem krampfhaften Schütteln befallen, mit dem Rücken auf dem Boden des zusammengefallenen Nylon-Schutzes. Sein Gesicht war entsetzlich angeschwollen. Nase und Wangen waren von pechschwarzen Erfrierungsmalen übersät. Der Sturm hatte beide Schlafsäcke beiseite geweht und ihn der eisigen Windkälte ausgesetzt. Mit seinen erfrorenen Händen war er nicht mehr in der Lage, sich in die Schlafsäcke wieder einzuwickeln oder den Reißverschluß des Zeltes aufzuziehen. »Scheiße noch mal!« schrie er mit schmerzverzerrter, verzweifelter Miene, als er mich sah. »Was muß denn noch alles passieren, bis einem hier oben mal jemand zu Hilfe kommt!« Seit zwei, drei Stunden hatte er ununterbrochen um Hilfe geschrien, aber der Sturm hatte seine Rufe erstickt.
    Beck war mitten in der Nacht aufgewacht und hatte gemerkt, daß »der Sturm das Zelt umgeweht hat und es langsam in Stücke zerriß. Der Wind hat mir die Zeltwand dermaßen ins Gesicht gedrückt, daß ich keine Luft mehr gekriegt habe. Und wenn's mal kurz nachgelassen hat, dann hat's gleich wieder angefangen, und wieder bekomme ich mit einer solchen Wucht das Zelt ins Gesicht und auf die Brust geschlagen, daß mir die Luft wegbleibt. Zu allem Übel ist mein rechter Arm immer mehr angeschwollen, und ich hatte diese blöde Armbanduhr an. Mein Arm wird also dicker und dicker, und die Uhr immer enger, bis meine Hand schließlich kaum noch Blut kriegt. Und mit solchen Händen war es natürlich völlig unmöglich, dieses Scheißding abzunehmen. Ich hab mir die Kehle nach euch ausgeschrien, aber niemand ist gekommen. Das war vielleicht eine Nacht. Mann, ich war wirklich heilfroh, als du dein Gesicht durch den Eingang gesteckt hast.«
    Als

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