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In eisige Höhen

Titel: In eisige Höhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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traf die von Burleson und Pete Athans geleitete Alpine Ascents International Expedition in Camp Drei ein. Am Samstagmorgen, gleich nachdem sie von der Katastrophe erfahren hatten, die sich hoch oben abspielte, überließen Burleson und Athans ihre Kunden der Obhut ihres dritten Bergführers, Jim Williams, und eilten zum Südsattel hoch, um zu helfen.
    Breashears, Ed Viesturs und der Rest des IMAX-Teams befanden sich damals zufällig auf Camp Zwei. Breashears unterbrach sofort die Filmarbeit, um alles, was die Expedition an Hilfsmitteln zu bieten hatte, auf die Bergungsbemühungen zu konzentrieren. Zuerst ließ er mir ausrichten, daß in einem der IMAX-Zelte auf dem Südsattel ein paar Ersatzbatterien gelagert waren. Am Nachmittag hatte ich sie gefunden, und Halls Team war nun wieder in der Lage, Funkkontakt zu den unteren Camps zu halten. Dann stellte Breashears den Sauerstoffvorrat seiner Expedition – 50 Behälter, die in mühseliger Kletterarbeit auf 7900 Meter geschleppt worden waren – den geschwächten Bergsteigern und künftigen Rettern auf dem Bergsattel zur Verfügung. Obwohl dies zwar sein fünfeinhalb Millionen teures Filmprojekt gefährdete, gab er den so wichtigen Sauerstoff, ohne zu zögern, frei.
    Athans und Burleson trafen am frühen Vormittag auf Camp Vier ein und begannen sofort damit, die IMAX-Behälter an all jene zu verteilen, die es ohne Sauerstoff kaum noch schafften. Dann warteten sie die Bemühungen der Sherpas ab, Hall, Fischer und Gau zu bergen. Als Burleson um 16 Uhr 35 draußen vor den Zelten stand, bemerkte er plötzlich, wie jemand mit steifen, eigenartigen Schritten aufs Lager zugehumpelt kam. »Hey, Pete«, rief er Adams. »Schau dir das mal an. Da kommt jemand.« Die entblößte, dem bitterkalten Wind ausgesetzte rechte Hand jenes sonderbaren Wesens war von Erfrierungen entstellt und zu irgendeinem seltsamen, steifgefrorenen Gruß erhoben. Athans fühlte sich an eine Mumie aus einem drittklassigen Horrorstreifen erinnert. Als die Mumie dann schließlich ins Lager taumelte, wurde Burleson klar, daß dies niemand anderes als Beck Weathers war, offensichtlich irgendwie von den Toten auferstanden.
    Als Beck in der vergangenen Nacht mit Groom, Beidleman, Namba und den anderen Leuten jener Gruppe zusammengekauert ausgeharrt hatte, merkte er, wie ihm »kälter und kälter wurde. Ich hatte meinen rechten Handschuh verloren. Mein Gesicht war eiskalt. Meine Hände waren eiskalt. Ich habe gemerkt, wie aus meinen Gliedern nach und nach alles Gefühl gewichen ist, und dann ist es mir immer schwerer gefallen, klar zu denken, und dann war plötzlich alles weg, und ich muß so nach und nach das Bewußtsein verloren haben.«
    Den Rest der Nacht und den Großteil des folgenden Tages verbrachte Beck flach auf dem Eis liegend, dem erbarmungslosen Wind ausgesetzt, kataleptisch und dem Tod nah. Er kann sich weder daran erinnern, wie Boukreev Pittman, Fox und Madsen holen kam, noch daran, wie Hutchison ihn morgens fand und ihm das Eis aus dem Gesicht kratzte. Über zwölf Stunden hatte er im Koma gelegen. Am späten Samstag nachmittag muß dann im mesozoischen Kern von Becks Hirn irgendein Licht aufgegangen sein, und er erwachte nach und nach aus seiner Bewußtlosigkeit.
    »Zuerst habe ich gedacht, ich bin in irgendeinem Traum«, weiß Beck noch. »Ganz am Anfang, als ich zu mir gekommen bin, dachte ich, ich liege im Bett. Mir war nicht kalt oder unbequem. Ich wälze mich dann so auf die Seite, öffne die Augen, und dann war da meine rechte Hand, die mich anstarrt. Dann merke ich, wie schlimm die Erfrierungen sind, und das hat mich dann mit einem Schlag zurück in die Wirklichkeit geholt. Schließlich war ich wach genug, um zu erkennen, daß ich bis zum Hals in der Scheiße stecke und daß die Kavallerie wohl nicht kommt und daß ich besser selbst sehe, wie ich da rauskomme.«
    Obwohl Beck auf dem rechten Auge praktisch blind war und mit dem linken nur im Radius von einem Meter scharf sehen konnte, marschierte er geradewegs in den Wind hinein. Er hatte richtig geschlossen, daß das Lager in dieser Richtung liegen mußte. Hätte er sich geirrt, so wäre er sofort die Kangshung-Flanke hinuntergestürzt, deren Abgrund in genau entgegengesetzter Richtung lag, nur zehn Meter entfernt. Ungefähr anderthalb Stunden später stieß er auf »ein paar unnatürlich glatte, bläuliche Felsen«, welche sich als die Zelte von Camp Vier herausstellten.
    Hutchison und ich waren gerade in unserem Zelt und hörten einen

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