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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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hatte die Zeit nicht gereicht.
    Krämpfe würden dem Lauern bald ein Ende setzen. Für Nelli war es abzusehen. Man konnte nicht stundenlang kauern. Wie viel Zeit war überhaupt vergangen, seit sie sich verkrochen hatten, und wie viel Zeit seit der Krawall-Kakophonie dieser zwei Vollidioten?
    Mit allem hatte Nelli gerechnet, mit Beschimpfungen, Drohungen, mehr noch damit, dass sie sofort hereinstürmen und auf sie einprügeln würden, aber bestimmt nicht damit, dass sie auf die Tür eindreschen, wie irr und mit aller Kraft, aber ohne ein Wort dazu.
    Und dann wieder Stille. Diese Stille, die einen verrückt werden ließ in Dunkelheit und Enge, hungrig und durstig wie man war, müde und gestresst durch Gefahr und zunehmende Hoffnungslosigkeit.
    Der erste Krampf machte sich bemerkbar, ein Stechen in der linken Wade. Nelli versuchte, den Muskel zu strecken, ohne Geräusche zu verursachen.
    „Ich halte das nicht mehr aus“, flüsterte Monika.
    „Wette gewonnen“, flüsterte die Herolder.
    „Was denn für eine Wette?“
    „Dass Nörgelchen als erste schwach werden würde.“
    „Nennen Sie mich nicht so!“, fauchte Monika flüsternd.
    „Ich glaube, die sind weg“, ging Nelli etwas lauter dazwischen.
    „Aber doch nicht ganz weg?!“
    „Wir wissen auch nicht mehr als du, kleine Jammertrine“, giftete die Herolder nur noch halb gedämpft. Das Schweigen war gebrochen. Nelli faltete sich aus ihrem Versteck und kroch daraus hervor.
    Das war schon verrückt. So sehr sie einen Angriff ihrer beiden Kerkermeister gefürchtet hatten, so fürchterlich war auch die andere Möglichkeit: dass sie nicht hereinkamen, nie mehr herunterkamen, gegangen waren - dass sie ihre Opfer in diesem Keller zugrunde gehen ließen. Vielleicht hatten sie einen Riesenfehler damit gemacht, sich zu verstecken und zu schweigen. Vielleicht hätten sie auf die wortlose Wutattacke gegen die Tür mit Worten reagieren sollen, sich melden und verhandeln als die einzige Möglichkeit, hier herauszukommen.
    Die superschlaue Herolder mit ihren falschen Pins! Vielleicht hätten die Typen Wort gehalten, hätten das Geld abgeräumt und für ihre Freilassung gesorgt.
    Der Krampf fuhr ihr erst richtig in die Wade, als Nelli endlich aufrecht auf ihren zwei Beinen stand und auf den Lichtschalter drückte.
    Verflucht, war das grell!
    Sie kniff die Augen zu und schirmte sie mit der Hand ab, während sie ihr Ohr an die Tür legte und lauschte. Stöhnend und fluchend krochen die Herolder und Monika unter der Eckbank und unter dem Tisch hindurch hervor. Eine Blitzattacke aus dem Dunkel heraus, so wie sie das geplant hatten, wäre jedenfalls kläglich danebengegangen.
    Es war Monikas Idee gewesen, sich zu verstecken, irgendwo, und Nellis Idee, sich unter der Eckbank zu verkriechen und das Licht zu löschen. Keine Minute zu früh, die Burschen hatten die Pins sofort ausprobiert und waren schnurstracks zurückgekehrt.
    Aber wo waren sie jetzt?
    „Und?“, fragte Fiona Herolder.
    Nelli nahm das Ohr von der Tür und schüttelte den Kopf.
    „Nichts.“
    „Ich will hier raus“, jammerte Monika.
    Nelli wurde flau im Bauch, als sie sah, dass ihrer Stieftochter erste Tränen in die Augen traten. Ihr trotziges Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass ihre Forderung ernst gemeint war, dass sie nicht realisierte oder nicht länger realisieren wollte, dass es nicht raus ging. Sie wollte raus, und wenn sie nicht kriegte, was sie wollte? Nelli wusste aus der Vergangenheit, was dann passieren konnte. Es graute sie bei der Erinnerung daran, was die zwölfjährige, einen Kopf kleinere Monika damals veranstaltet hatte, wenn sie etwas wollte, das nicht zu bekommen war. Jetzt war sie erwachsen, ausgewachsen, etwas größer als Nelli und schwerer.
    Ein hysterischer Anfall war das letzte, was sie in der Enge hier unten gebrauchen konnten.
     
    „Die hat aber auch schon gar nichts, was sich zu Geld machen lässt, verflucht noch mal!“
    German zerrte ein Geschlinge undefinierbarer Schals und Tücher in verschiedenen Schwarztönen aus einem Schubfach im Kleiderschrank. Sein Kopf glühte und glänzte wie ein frisch gegarter Schinken.
    „Die Frau hat eindeutig einen Dachschaden“, kam es von Boris. Er lag voll angezogen und mit dreckumrandeten Trekkingschuhen auf dem ausladenden Doppelbett des Schlafzimmers, starrte in der verspiegelten Decke sich selbst von Kopf bis Fuß an und räusperte sich. Er verschränkte die Arme hinter dem flaumig kahlen Schädel und kreuzte die dünnen Beinchen,

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