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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ausschließlich auf Weisung von oben. Auf eine Information von unten hin rührtman einen wie Sie nicht an. Ich weiß nicht, welche Sitten bei der jetzigen Nomenklatura da oben herrschen, aber ich befürchte, Ihr heimliches Verhältnis mit einem kleinen Mädchen würde dort keinen sonderlich schockieren.
    Sazepa, ein angenehmer älterer Herr, sah Solowjow vom Bildschirm entgegen. Ein gebildeter, liberaler Beamter. Graues, elegant geschnittenes Haar, schwarze Augenbrauen, kräftiger, männlicher Unterkiefer, schmale, skeptische Lippen. Nur die Augen hatten nichts Beamtenhaftes; es waren Hundeaugen – klug und traurig.

Zwanzigstes Kapitel
    Rodezki lief in seinem warmen alten Bademantel und mit zerrubbeltem nassem Haar durch die Wohnung und versuchte, sich zu beruhigen, sich einzureden, dass an seinem heutigen Besucher nichts Verdächtiges war.
    Die Uhr im Arbeitszimmer schlug eins. Er ging normalerweise früh ins Bett, aber heute mochte er nicht schlafen. Er löschte das Licht im Wohnzimmer, setzte sich an den Schreibtisch und sah ein paar Aufsätze durch, darunter auch den von Shenja, den Karina ihm gegeben hatte. Er stellte fest, das Shenja jetzt bedeutend besser schrieb. Zumindest hatte sie ihre Ausführungen zu Puschkins Lyrik diesmal nicht vollständig aus dem Lehrbuch abgekupfert, sondern auch einige eigene Gedanken eingebracht.
    »Kluges Mädchen«, murmelte der alte Lehrer.
    Die gewohnte, geliebte Arbeit beruhigte ihn. Er gähnte. Zeit zum Schlafengehen. Nach all den Aufregungen konnte er sich eigentlich eine Zigarette gönnen. Früher hatte er viel geraucht, aber wegen des Asthmas aufgehört. Er versteckte die Zigaretten vor sich selbst hinter Büchern im Regal und vergaß immer wieder, hinter welchen. Bei seiner Suche entdeckte er hinter den grauen Dostojewski-Bänden eine rosa Haarspange aus Plastik.
    »Die hat bestimmt eins der Mädchen hier vergessen«, murmelte er und suchte weiter nach den Zigaretten. »Aber wie kommt sie ausgerechnet hierher? Ich habe doch vor ein paar Wochen gründlich saubergemacht, alle Bücher ausgeräumt, gesaugt und alles feucht abgewischt.«
    Die Zigaretten lagen hinter den blauen Gogol-Bänden. Rodezki zog seine Jacke über den Bademantel und ging hinaus auf den Balkon. Es war sehr windig. Der Nachthimmel war nun ganz klar. Durchsichtige kleine Wolken trieben so rasch vorbei, dass der Vollmond unter ihrer Berührung zitterte, als kitzelten sie ihn. Die Straße schlief. Vereinzelte Autogeräusche schienen besonders laut.
    Unten klappte eine Autotür. Rodezki schaute hin und sah eine große Gestalt rasch von den Autos unter dem Balkon weggehen und die Straße überqueren. Heller Mantel, dunkle Schirmmütze. Im Licht der Straßenlampe war er gut zu erkennen, allerdings nur von hinten.
    Nein! Das bilde ich mir nur ein, sagte sich Rodezki.
    Der Mann im Mantel überquerte die Straße und verschwand in der Dunkelheit. Der alte Lehrer sah nur seine Silhouette, bemerkte aber, dass er sich umdrehte.
    In Rodezkis Wohnzimmer brannte kein Licht, trotzdem war er mit seiner brennenden Zigarette auf dem Balkon gut zu sehen. Der Mann ging zu einem unter einer Lampe geparkten dunklen Auto auf der anderen Straßenseite, zögerte kurz, schaute noch einmal hinauf zu den Balkons und lief plötzlich los.
    »Nein, nein! Das ist Unfug!«, sagte sich der alte Lehrer streng.
     
    Solowjow war total erschöpft, ihm fielen die Augen zu, aber seine Finger glitten weiter über die Tastatur. Er wollte sich noch einmal überzeugen, dass sämtliches Material zu Anatoli Pjanych tatsächlich verschwunden war, und zugleich nachsehen, was die Datenbanken zu Matwej Groschew hergaben.
    Der alte Lobow hatte ihn total verunsichert.
    Von dem Würger von Dawydowo hatte Solowjow von Olga zum ersten Mal gehört. Sie hatte unbedingt mit ihm nach Dawydowo fahren wollen, Zeugen suchen. Aber er hatte das abgelehnt, aus Angst, sich völlig zu verirren und wieder in eine Sackgasse zu geraten. Die Fahndung nach Moloch verlief in nervöser Atmosphäre, die Vorgesetzten verlangten mehrmals am Tag Berichte, mündlich und schriftlich, ließen sich jeden Schritt erklären und kommentieren. Obendrein auch noch einen alten, vergessenen, aus den Archiven entfernten Fall wieder aufzurollen schien äußerst dumm.
    Blinde Waisenkinder. Eine friedliche Moskauer Vorstadt. Ein Kinderheim. Und ganz in der Nähe ein Parteibordell. Hätte die Kinderpflegerin nicht vor ihrem Tod gebeichtet und der Geistliche nicht das Beichtgeheimnis gebrochen,

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