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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ins Zimmer. Ihr kurzes scheckiges Haar stand nach allen Seiten ab, ihre Pausbacken waren von gesunder Röte.
    »Hallo, Leute. Was kuckt ihr so bedripst, wie auf einer Beerdigung? Ich bin Maja.« Sie reichte Solowjow die Hand.
    Sie hatte einen kräftigen, männlichen Händedruck. Solowjow stellte sich kurz vor und taufte die Dame im Stillen die Sportlerin.
    »Kriminalist?«, fragte Maja erstaunt. »Hat Shenja was angestellt?«
    »Ja«, sagte Nina, »das hat sie. Sie ist tot.«
    »He, bleib ruhig, mal nicht den Teufel an die Wand!« Die Sportlerin schüttelte entschieden den Kopf. »Sag nicht solche Sachen. Ich weiß, Shenja ist schwierig, du bist erschöpft, aber damit scherzt man nicht, hörst du.«
    Nina sah Solowjow an. Ihre Lippen formten ein zaghaftes Lächeln.
    »Sehen Sie, keiner glaubt es.«
     
    Der Wanderer duschte, rasierte sich und zog frische Sachen an. Er schaute lange in den Spiegel, als sähe er sich zum ersten Mal. Ein Fremder, ein Unbekannter, zurückgekehrt aus der Welt des Lichts, von dort, wo am Rand des Abgrunds Kinder im Roggen spielen. Eine unvorsichtige Bewegung, und die Kinder stürzen hinab, in den Abgrund, in die ewige Nacht. Ihr klagender Schrei verhallt in der Unendlichkeit. Die anderen Kinder hören ihn nicht, sie wissen nichts von der Gefahr und spielen weiter. Unglückliche, verlorene Geschöpfe.
    Die Verwandlung eines Menschen in einen Hominiden geschieht schleichend. Ein kleines Kind hat noch die Eigenschaften eines Menschen. Je älter es wird, desto verdorbener wird es. Doch im Körper der Mutanten lebt eine Zeitlang noch ein Engel. Er weint, will hinaus in die Freiheit. Er braucht Hilfe. Nun, der Wanderer hat ihm geholfen. Mit dem Gefühl, seine Pflicht getan zu haben, ist er aus dem Reich des Lichts zurückgekehrt.
    Zum Schluss hatte er ihr die Augen geöffnet. Ihr Leben war grob, schmutzig und lasterhaft. Einfach abscheulich. Die Kirche vergibt Selbstmord nur in einem einzigen Fall: Wenn eine Jungfrau sich tötet, um ihre Reinheit zu retten. Verstehst du,was das heißt? Reinheit ist wichtiger als das Leben. Der Engel in dir, den du verraten hast, ist wichtiger als du, Mädchen. Er weint. Er leidet und fürchtet sich in deinem Körper, im Körper eines kleinen Flittchens, das Männern den Kopf verdreht.
    Anderthalb Jahre lang hatte er sich gestattet, in der platten, sinnlosen Realität zu leben, jenseits der Apokalypse, die bereits angebrochen war, ohne dass es jemand bemerkt hätte. Achtzehn Monate hatte er sich gestattet, in der Welt der fünf Sinne zu leben, der Welt der Hominiden, und war in dieser Zeit natürlich ebenso taub und blind gewesen wie sie.
    Die Zahl achtzehn besteht aus drei Sechsen. Die Zahl des Tieres. Drei Sechsen Untätigkeit. Klar, zu wessen Vorteil. Ja, das war ein weiteres Zeichen.
    Der Mann im Spiegel verzog das Gesicht, dann lächelte er. Er fuhr sich mit der Hand durch das feuchte Haar. Vielleicht hatte er die Wanderung nur geträumt? Das Gefühl hatte er jedes Mal, wenn ihn eine unbekannte Macht aus der Welt des Lichts zurückschleuderte in die ewige Nacht. Die Finsternis war ihm vertraut, sie schuf die Illusion von Komfort und Frieden. Aber sie saugte ihm die Kraft aus. Den Hominiden erschien sie als Licht, denn das echte Licht war ihnen unbekannt, es hätte sie augenblicklich geblendet. Sie begriffen nicht, dass sie sterben mussten, und lebten, als gebe es keinen Tod.
    Auf dem Fußboden im Bad lagen seine Kleider, Jeans und ein kariertes Flanellhemd. In den Jeanstaschen fand er einen Kaugummiklumpen, in die Zellophanhülle einer Zigarettenschachtel eingewickelt.
    »Spuck das aus!«, hatte er im Auto zu dem Mädchen gesagt. »Eine scheußliche Angewohnheit! Du bist doch keine Kuh.«
    Sie hatte genickt und den Kaugummi in seine Hand gespuckt. Natürlich – sie hatte gelernt, jeden Wunsch ihrer Kunden zu erfüllen. Die Schlampe.
    In der hinteren Jeanstasche steckte noch das Geld, das er aus der Innentasche ihres Anoraks genommen hatte, als alles vorbei war. 250 Euro und 100 Dollar. Die Dollar waren derAufpreis, den sie von ihm verlangt hatte, das geldgierige dumme Ding. Er hatte sagen wollen, dass er ihrem Zuhälter schon alles bezahlt habe, sich aber rechtzeitig besonnen. Er wollte sie nicht unnötig misstrauisch machen.
    Die Euro musste ihr jemand anders gegeben haben, vor ihm. Nun würde dieses schmutzige Geld der großen reinen Sache dienen; es würde helfen, noch mehr Engel zu befreien.
    Sein Hemd hatte zwei Brusttaschen. In der einen lagen ein

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