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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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dünnes, schmales Goldkettchen mit einem kleinen Anhänger, einem ovalen dunkelblauen Stein in Goldfassung, und eine rosa Haarspange aus Plastik. Die Kette hatte er der toten Hominidin vom Hals genommen. Dass die Kette aus Gold war und der Stein vermutlich ein echter Saphir, spielte dabei keine Rolle. Er war kein Dieb. Wenn man einen Engel befreit, wird eine Menge Energie freigesetzt. Sie ist so gewaltig, dass sie Totes lebendig machen kann. Diese Energie heißt Bioplasmid – das ist im Grunde reines Leben in Form von Energiestrom. Der Stein hatte einen Teil des Bioplasmids aufgenommen; er war warm und pulsierte in seiner Hand.
    Die Haarspange hatte der Wanderer gefunden, als er das Wageninnere säuberte. Sie war nicht weiter von Bedeutung, konnte ihm aber womöglich einmal nützlich sein. In der anderen Brusttasche lag das Wichtigste: Ein weicher kastanienbrauner kleiner Zopf, sorgfältig in ein Papiertaschentuch gewickelt. Er wickelte ihn aus, sog den schwachen Apfelduft des Mädchenhaars ein, und ihm wurde siedendheiß.
    Ja, es war also wirklich geschehen. Ein weiterer befreiter Engel flog nun munter da oben zwischen den Wolken herum, am reinen, strahlenden Himmel.
     
    Nina, bleich wie die Wand, rauchte und betrachtete das Geld.
    »So viel hat er ihr nicht gegeben«, sagte sie kaum hörbar und hustete. »Und das Geld für den Videoclip hat sie gleich für Klamotten rausgeworfen.«
    »Vielleicht hat sie ja gespart?«, fragte Solowjow.
    »Wer? Shenja?«, mischte sich Maja ein. »Ausgeschlossen. Sie hat immer alles ausgegeben, bis auf die letzte Kopeke. Wie viel haben Sie insgesamt gefunden?«
    »Bis jetzt 1400 Euro.«
    »Was soll das heißen – bis jetzt?« Nina drückte die Zigarette aus und stand auf.
    »Ich fürchte, ich muss die Durchsuchung wiederholen, diesmal gründlicher«, sagte Solowjow und griff nach einem großen, zerliebten Plüschteddy.
    »Nein!«, rief Nina. »Das ist Mika, ihr Lieblingsplüschtier, den nimmt sie immer mit ins Bett. Fassen sie ihn nicht an! Legen Sie ihn zurück!«
    Der Teddy war weich und schlaff. Auf seinem Rücken entdeckte Solowjow eine ordentliche Naht, der Faden fiel kaum auf. Maja reichte ihm wortlos eine Nagelschere. Nina sank auf den Fußboden, schlang die Arme um die Knie und barg ihr Gesicht darin. In dem Teddy steckte ein Packen Scheine, in eine Heftseite gewickelt und von einem Gummi zusammengehalten. Zehn 50-Euro-Scheine.
    Maja fluchte laut und ließ sich in einen Sessel fallen. Unter ihrem mächtigen Hinterteil piepste es, gleich darauf ertönte ein schmachtender Gitarrenakkord und ein angenehmer Bariton:
     
    Am blassen Hals der jungen Angelina
    Glitzern Tropfen von Blut, rot wie Rubine.
    In meiner Hand der Griff aus Elfenbein.
    Ach, Angelina, ich bin so allein.
     
    Nina schrak zusammen und sah sich beunruhigt um. »Was ist das?«
    »Entschuldige. Ich hab mich aus Versehen auf die Fernbedienung gesetzt.«
    Maja schaltete die Stereoanlage aus und sah Solowjow an. »Das ist Vaselin. Ein Sänger. Kennen Sie den? Den hört Shenja dauernd. Hat sie gehört … Mein Gott, ich kann es nicht glauben …«
     
    Solowjow rief die Einsatzgruppe. Bereits nach einer Stunde war die Summe auf zwanzigtausend angewachsen. Ein Teil davon steckte in der Geheimtasche einer Winterjacke, ein Teil unter den Innensohlen der Skistiefel.
    »Das hat sie bestimmt nicht gestohlen«, sagte Maja fest. »Ich kenne Shenja seit ihrer Geburt.«
    Nina schwieg. Während der ganzen Durchsuchung hatte sie auf dem Boden gesessen, die Knie umschlungen, und auf keine Frage geantwortet.
    »Was meinen Sie, woher sie das Geld hat?«, fragte Solowjow leise.
    Maja zuckte die Schultern. »Verdient vielleicht? Die Frage ist nur, wie? Ich bin vierzig Jahre alt und habe zwei Hochschulabschlüsse, aber ich habe in meinem ganzen Leben noch nie auch nur halb so viel Geld auf einmal in der Hand gehabt.«
    »Es reicht!« Nina stand abrupt auf, ging zu Solowjow und starrte ihn mit bösen, trockenen Augen an. »Das ist mein Geld. Ich hatte es versteckt. Shenja hat damit nichts zu tun.«
    Maja packte sie bei den Schultern. »Spinnst du? Wieso schwindelst du? Warum?«
    »Fass mich nicht an! Und überhaupt, verschwindet, alle, lasst uns in Ruhe! Mischt euch nicht in unser Leben! Ihr nehmt hier einfach das ganze Haus auseinander, macht die Sachen meiner Tochter kaputt. Mit welchem Recht? Shenja ist bald zurück, und ihr Zimmer ist total verwüstet, und es ist nichts zu essen im Haus, wegen euch bin ich nicht zum Einkaufen

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