Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
zu dem Loch im Zaun.
    Dima träumte noch lange von den Leichen auf den Tischen. Außer dem Mann war da noch eine sehr dicke Frau gewesen. Aus ihren Füßen ragten Drähte. Olga erzählte ihm später, sie habe überhaupt nicht schlafen können, obwohl sie eigentlich gelassener hätte reagieren müssen. Ihre Mutter war nämlich Ärztin, sie selbst wollte ebenfalls Ärztin werden und würdealso auch in der Pathologie arbeiten und Leichen aufschneiden müssen wie die jungen Leute in den grünen Kitteln.
     
    An diese Geschichte musste Solowjow zum wiederholten Mal denken, als er auf den Parkplatz hinter dem Institutsgebäude fuhr.
    Im Radio lief just derselbe Schlager wie damals.
    Petka Tschuwilin war inzwischen in Amerika. Er besaß mehrere angeblich florierende Restaurants in Miami. Olga Luganskaja hieß jetzt Filippowa, war Psychiaterin und Doktor med. Sie hatte zwei Kinder, Andrej und Katja, ihr Mann Alexander war Historiker. Und bei ihm selbst, Dima Solowjow, stand auch alles bestens: Leitender Ermittler für Kapitalverbrechen, zweimal geschieden, sein siebzehnjähriger Sohn Kostik beendete in diesem Jahr die Schule und wollte Jura studieren. Er lebte bei seiner Mutter und dem Stiefvater, besuchte den Vater am Wochenende und in den Ferien. Was noch? Eine intime Freundin, Ljuba. Graphologin. Schön und klug, achtundzwanzig Jahre alt, eine ausgezeichnete Köchin. Ihre Beziehung währte bereits das vierte Jahr, es war eigentlich an der Zeit, sie zu legitimieren.
    »Heirate sie«, hatte Olga gesagt, als sie sich das letzte Mal trafen. Sie saßen in einem Café in der Neglinnaja und tranken Olgas geliebten Tokayer. »Heirate Ljuba. Sie ist wirklich in Ordnung.«
    Du gibst mir noch Ratschläge? Ist dir klar, dass du mein ganzes Leben durcheinandergebracht hast?
    Das hatte er natürlich nicht laut gesagt. Wozu?
    »Das ist das Alter, Dima«, hatte Olga bei ihrer letzten Begegnung gesagt.
    Er hatte geklagt, dass die Zeit neuerdings so raste, dass ihn außer der Arbeit nichts mehr interessierte und ihn nur noch Vergangenes rührte – alte Lieder, Filme und Bücher. Die Gegenwart dagegen ärgere ihn nur und erscheine ihm fremd und kalt.
    »Vergrab dich nicht in der Vergangenheit«, riet Olga, »sonst bist du bald ein alter Nörgler.«
    »Das bin ich schon. Hier, ich bin schon ganz grau.«
    »Das steht dir. Und überhaupt, red nicht so viel vom Alter. Wir beide sind nämlich gleich alt.«
    »Du siehst viel jünger aus, Olga.«
    »Hm, ich bin eine jugendliche Alte. Schluss jetzt, Dima. Hör auf zu jammern. Sieh dir Guschtschenko an, der ist bald sechzig, aber er sprüht vor Intellekt und Energie.«
    »O ja, der reinste Generator.«
    Olga sah ihn traurig und zärtlich an. Sie stießen an und tranken ihren Tokayer aus.
     
    Dima schaltete den alten Schlager ab und stieg aus dem Wagen. Vor ihm lag das düstere alte Institutsgebäude. Hier hatte sich nichts verändert. Schmutzige Fenster, dicke, rußgeschwärzte dunkelrote Backsteinmauern. Nur die Tür war jetzt aus Eisen und mit einem Codeschloss versehen, und der Zaun hatte keine Löcher mehr. Am Tor saß ein schläfriger Wachmann. Die Kinder aus der benachbarten Schule kamen bestimmt nicht mehr herein. Richtig, gut so. Sie sahen heutzutage schon genug Schreckliches.
    Shenja Katschalowa lag auf dem nämlichen Tisch am Fenster. Der Gerichtsmediziner Andrej Korob saß daneben und aß einen Hamburger von McDonald’s. Sein Mund war mit Ketchup beschmiert.
    »Schwanger, siebzehnte Woche. Ein Junge«, erklärte Korob mit vollem Mund.
    »Wer?«, fragte Solowjow.
    »Na, ich nicht!«
    »Moment mal, sie war doch noch ein Kind.«
    Korob aß seinen Hamburger auf, trank die Cola aus und wischte sich die Lippen ab.
    »Hier, das wollte ich dir zeigen.« Er zog Gummihandschuhe an, ging zum Seziertisch und fuhr durch das Haar des Mädchens.»Ich glaube, hier hat jemand mit einer Schere einen Zopf abgeschnitten. Siehst du das?«
    »Ja.« Solowjow nickte.
    »Und hier, ein großes Hämatom am Hinterkopf. Das heißt, jemand hat sie mit einem schweren stumpfen Gegenstand auf den Kopf geschlagen.«
    »Hatte der Täter den Stein dabei? Oder hat er ihn zufällig aufgehoben?«
    »Es muss nicht unbedingt ein Stein gewesen sein.« Korob schüttelte den Kopf. »Vielleicht war’s auch ein Hammer, eine Hantel oder so. Ihr habt am Tatort nichts in der Art gefunden?«
    »Nicht dass ich wüsste. Wir haben ein paar mittelgroße Pflastersteine mitgenommen und sie im Labor untersuchen lassen, aber die zeigen keine

Weitere Kostenlose Bücher