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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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dass er zur Lupe greifen musste.
     
    März, Mitternacht.
    Mein liebes neues Tagebuch! Entschuldige, dass du nicht so schön bist wie das vorige, der dicke Taschenkalender. Aber Mama hat mich einmal damit erwischt und wollte wissen, was ich da schreibe. Ich habe behauptet, es sei ein Entwurf für einen Bio-Vortrag, und das Heft zugeklappt. Mama wurde misstrauisch. Sie fragte nach dem Thema des Vortrags. Ich schwindelte irgendwas zusammen, aber mir war klar: Sobald ich das Haus verlasse, wird sie alles durchwühlen, das Tagebuch finden und lesen. Und da standen Sachen drin …
    Ich habe es in Papas Kamin verbrannt. Mama würde eine Menge dafür geben, wenn sie mein Tagebuch lesen könnte. Sie wirkt in letzter Zeit sehr angespannt. Sie besucht sogar Psychologie-Kurse, um mit mir klarzukommen. Meine arme, dumme Mama! Jetzt schreibe ich ganz in Ruhe. Wenn sie reinkommt, sieht sie ein normales Schulheft, und ich sage, dass ich am Entwurf für den Aufsatz sitze. Meine Schrift ist sowieso ziemlich schwer zu entziffern, und Mama sieht nicht besonders gut.
    Aber warum schreibe ich eigentlich? Ich weiß doch, dass das gefährlich ist. Trotzdem – ich muss mich einfach jemandem anvertrauen,
wenigstens dir, liebes Tagebuch. Ich glaube, ich bin bis über beide Ohren verliebt. Mark hat gestern gesagt, da wäre wieder mal ein alter Sack scharf auf mich. Er hat gleich zwei Treffen im Voraus bezahlt. Ich hab gesagt, ich kann nicht mehr, ich will mal ausruhen, es geht mir nicht gut. Mark hat gesagt: Na schön, den bedienst du noch, dann machst du mal Pause.
    Ich hatte absolut keine Lust, zu dem alten Knacker zu fahren. Ich liebe V., ja, ich liebe ihn wirklich. Das Kind ist auch von ihm. Bei den anderen habe ich immer verhütet, bei ihm nicht. Ich kann mir vorstellen, was Mama für ein Theater machen wird, wenn ich einen dicken Bauch kriege. Und Papa dreht sowieso durch. Er hasst V. Sie sind Todfeinde.
    Tja, Papa, ihr wart Feinde, und nun werdet ihr Verwandte. Du wirst dich damit abfinden müssen.
    Ehrlich gesagt, hab ich die Nase voll von den alten Säcken, ich kann nicht mehr. Sogar von Nick, obwohl der eigentlich ganz in Ordnung ist. Er stinkt nicht aus dem Mund und ist nett zu mir. Und außerdem eine gute englische Sprachpraxis für mich. Aber sein ganzes Gerede – von den Onyxsäulen, auf die kleine Mädchen in der Antike gesetzt wurden, davon, dass die römischen Patrizier Kinder gevögelt haben und wie wunderbar und natürlich das war, geht mir auf die Nerven. Scheißhistoriker! Sexprofessor! Wenn Mark erfährt, dass ich mich mit Nick treffe und wie viel Kohle er mir gibt, ist der Teufel los. Er warnt uns doch immer, wir sollten ja nicht versuchen, heimlich nebenbei was zu verdienen.
    Ich hab echt keinen Bock, diesen neuen alten Sack zu bedienen! Mark sagt, der Neue sieht aus wie sechzig, wahrscheinlich so ein Typ wie der Professor. Still und kultiviert. Bart, womöglich falsch, dunkle Brille. Das erste Treffen ist in unserem »Hotel«. Ich hoffe, er bringt’s nicht mehr.
    Viele Kunde können nicht mehr, und das macht sie verrückt. Sie stehen auf Kinder, weil sie Leben aus uns saugen. Stas hatte letztes Jahr einen, uralt, um die siebzig. Der konnte gar nichts mehr, hat nur gegrapscht, gegeifert und geschnauft. Aber Stas
war hinterher völlig fertig, war ganz wacklig auf den Beinen und wurde richtig krank.
    Mark sagt, das ist alles Einbildung. Dieses Schwein! Er scheißt natürlich drauf, was aus uns wird. Ob wir erwachsen werden oder krepieren wie kleine Ratten, ist ihm egal. Dann sucht er sich eben neue Kinder, quatscht sie voll und bringt ihnen alles bei, wie uns damals. Früher hab ich nicht geahnt, wie scheißegal ihm alles ist, aber jetzt weiß ich Bescheid. Der Mistkerl, er hat doch versprochen, dass man im Internet unsere Gesichter nicht sehen würde. Hat man zu Anfang auch nicht, nur Körper im Nebel. Aber dann tauchten plötzlich die Gesichter auf. Mir wurde ganz schlecht, als ich das sah. Stas auch, sogar Jegorka, dabei ist der total blöd. Bloß Ika juckt das nicht, aber bei ihr ist das ja auch was anderes.
    Ich frage also Mark, warum zum Teufel zeigst du unsere Gesichter? Und er, ganz gelassen grinsend: Wovor hast du denn Schiss? Meinst du, deine Mama, dein Papa oder dein Schuldirektor besuchen meine Seite?
    Ich würde ihn am liebsten eigenhändig töten, echt! Aber warum soll ich mir die Hände schmutzig machen? Irgendwer wird dieses Schwein sowieso früher oder später umbringen. Ich hasse ihn!
    Ich bin blöd.

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