In Ewigkeit, Amen
kleines Mädchen mal die Kaiserin Elisabeth von Österreich unglaublich toll fand. Und so süß. Und meine Sissi war früher auch so süß gewesen. Inzwischen hatte sich das grundlegend geändert. Sie hatte jetzt eine reifere Ausstrahlung mit ihren langen buschigen Augenbrauen in Braun-Schwarz und dem zotteligen Bart in Schwarz-Braun. Kurzum, sie sah inzwischen nicht mehr wie eine Sissi aus, sondern wie ein Gratler oder Landstreicher, der schon seit etlichen Wochen kein Wasser zum Waschen gefunden hat. Dass der Name für unseren Hund total ungeeignet ist, hatte mir Großmutter von Anfang an gesagt und sich penetrant geweigert, das Wort Sissi in den Mund zu nehmen. Inzwischen sage nicht einmal ich Sissi, sondern genau wie meine Großmutter einfach nur »der Hund«. Denn auch Sissis Verhalten ist ganz und gar nicht so, wie man es von einer kaiserlichen Hündin erwarten würde. Beispielsweise hat sie ein derartig anormales Interesse an verfaulten Gegenständen, dass es nicht schön ist, mit ihr etwas zu unternehmen. Also zum Beispiel mit ihr den Müll vom Metzger zu durchwühlen war echt kein Spaß. Ständig versuchte sie mitzumachen.
Endlich hatte ich die gute Idee, die arme Sissi zum Zusehen zu verdammen und an den nächsten Laternenpfosten zu binden. Ich starrte mit wachsendem Widerwillen auf den Müllbeutel, der obenauf lag. Jetzt verstand ich, warum Großmutter gemeint hatte, der Metzger würde seinen Müll in andere Tonnen werfen. Seine eigene war wirklich etwas klein und außerdem halb leer. Es roch überhaupt nicht nach gammelndem Fleisch. Ein Wunder ist des nicht, würde Großmutter sagen. Schließlich kann er alles in den Leberkäs reinwurschteln.
Wieso der Metzger überhaupt die Schürze bei der Bet entsorgt haben sollte, fragte ich mich. Schließlich konnte man diese Plastikdinger gut abwaschen, die brauchte man ja nicht wegwerfen, wenn Blut hingespritzt war.
Igitt.
Ich nahm meinen Haselnussstecken und begann ein wenig im Müll zu rühren. Sah aus wie ganz normaler Müll. Verschimmelte Nudeln im Beutel, drei Packungen Müsli, in denen sich die Mehlmotten vermehrt hatten. Irgendetwas Undefinierbares mit wabbeliger Konsistenz, zerknüllte Taschentücher. Bevor ich mich entscheiden konnte, ob ich die Müllbeutel aufmachen und näher untersuchen sollte, sagte die Rosi hinter mir laut: »Gott, himmlicher Vater, ich habe gesündigt.« Ich quietschte erschrocken auf und ließ den Haselnussstecken fallen. »Ich kann meine Sünden nicht ungeschehen machen«, sagte sie statt einer Begrüßung. »Was machst du denn da?«
»Grüß dich, Rosi«, antwortete ich mürrisch.
Bei der Rosi Meier muss man wissen, dass sie sehr gut ist. So gut und rein, dass sie sogar hin und wieder Marienerscheinungen hat. Und da sie überhaupt nicht »noadig« ist, wie Großmutter zu sagen pflegt, also nicht geizig, beglückt sie alle möglichen Leute regelmäßig mit heilsamen Gebeten. Wenn man will, dass die Gebete so richtig was nützen, wirkt sich eine finanzielle Unterstützung der Beterin sehr positiv auf das Ergebnis aus.
»Grüß dich, Lisa«, sagte die Rosi und betrachtete mich mit stechendem Blick. »Du allein kannst Sünden vergeben. Du hast deinen Sohn Jesus Christus gesandt, dass er die Schuld der Welt auf sich nehme und die Sünder zu dir zurückführe . . .«
Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass die Rosl ständig betet. Es war so ungemein irritierend, wenn man sich unterhielt, und der andere dazwischen betete, als wäre man gar nicht da. So war es natürlich nicht. Rosl wusste ganz genau, dass ich da war. Das war nur ihre Form von Nächstenliebe, sie betete sogar während des Gesprächs für den Gesprächspartner. Im Grunde sei das ganz lieb gemeint, hatte mir jedenfalls Großmutter erklärt, als ich mich einmal bei ihr beschwert hatte. Großmutter war zwar auch genervt von der Rosl, weil Großmutter nämlich für sich selbst betet und nicht auf die Rosl angewiesen sein will. Aber im Prinzip sei das eine nette Geste. Und da ich sowieso nicht richtig und vor allen Dingen nicht ausdauernd bete, könne ich nur froh um die Rosl sein.
Ich habe für die Rosl gar kein Verständnis. Jedes Mal, wenn ich ihr über den Weg laufe, meine ich, etwas falsch gemacht zu haben. Die Rosl und ein Polizeiwagen. Die lösen dieses Gefühl aus. Dieses Nachdenken darüber, was man schon wieder Widerrechtliches gemacht haben könnte. Falsch geparkt. Zu schnell gefahren. Organisten erstochen. Oder so.
Um genau zu sein, muss ich noch die Bet
Weitere Kostenlose Bücher