In Ewigkeit, Amen
Wahrscheinlich war es verboten, Tatverdächtigen zu antworten.
Gestern waren wir noch im Bett gewesen, und er hatte keinen einzigen Hinweis darauf gegeben, dass die Polizei heute in unseren Garten einfallen würde. O. k. Vielleicht hatte er es zu dem Zeitpunkt noch nicht gewusst. Aber das war mir egal, er hätte mich warnen können. Wieso war er überhaupt hier? Soweit ich wusste, durfte er sowieso nicht mehr richtig mitspielen.
Bis auf die Befragungen von Großmutter.
Großmutter.
Sie verdächtigten doch wohl nicht allen Ernstes Großmutter? Aber aus welchem Grund sollte ansonsten Max dabei sein?
Blomberg sagte nichts, sondern streckte die Hand nach den Schlüsseln aus. Ich gab sie ihm, und er suchte nach dem Schloss. Max sah undurchdringlich auf den alten Hackstock neben der Tür.
Blombergs Männer versuchten, die Tür unseres Häuschens zu öffnen, während ich daneben stand und tat, als würde mich die Sache nichts angehen. Ausgerechnet das Gartenhäuschen. Wer kam denn auf so eine hirnrissige Idee. Aber da mit mir keiner sprach, sagte auch ich nichts, sondern sah gelangweilt auf die Holzbretter des Häuschens, die kleinen Fensterläden, die noch nie geschlossen worden waren, und das Holzgerüst, an dem im Herbst unsere dekorativen blauen Trauben hingen. Sie hatten ein Meer von Kernen im Inneren. Eigentlich bestanden sie nur aus Kernen. »Die kannst mitessen«, hatte Großmutter immer gesagt. Von wegen. Ich war mir sicher, dass ich die gleichen Symptome wie der kleine Lehmer bekommen würde, wenn ich diese Unmassen von Kernen im Gedärm hätte.
Und man sah ja, wohin das führte.
Ab heute würde ich wieder mit meinen privaten Ermittlungen beginnen. Wenn ich überhaupt konnte und nicht gleich in Untersuchungshaft kam.
Natürlich bekamen sie die Tür nicht auf. Die Tür musste man nämlich immer anheben, wenn man sie verschließen und öffnen wollte. Und vor allen Dingen half es nicht, wenn man versuchte, das Schloss zu öffnen – das war schon lange nicht mehr zu sperren. Schon mindestens zwölf Jahre lang nicht. Ich erbarmte mich und bog einen alten rostigen Nagel um, der oben an der Tür verhinderte, dass sie aufschwang. Max sah noch immer unverwandt auf ein Thermometer, dessen Skalierungsstriche schon verbogen waren. › Apotheke zum Goldenen Löwen ‹ stand darauf. Der Apotheker war schon lange tot. Eines vollkommen natürlichen Todes gestorben, nahm ich jedenfalls an. Aber wusste man es? So im Rückblick fragte ich mich wirklich, ob es nicht noch mehr ungeklärte Todesfälle in unserem Dorf gegeben hatte.
»Im Häusl ist nix«, sagte ich vor mich hin. Denn meine Meinung interessierte offensichtlich niemanden.
Dann gingen Blomberg und einer von der Spurensicherung in den Geräteschuppen, der so schmal war, dass eigentlich nur ein Mann darin stehen konnte. Ich stellte mich an die Tür und sah auch hinein. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal hier drin gewesen war. War es letztes Jahr gewesen? Vorletztes Jahr? Oder noch länger zurück. Direkt hinter der Tür hing ein kleines Hackebeilchen, auf dem unmissverständlich braungetrocknetes Blut klebte. Blomberg zuckte mit dem Kinn, und der Mann von der Spurensicherung, bekleidet mit einem weißen Ganzkörperkondom, verpackte es ordentlich in eine Plastiktüte. Ich sah unser Hackebeilchen auf Nimmerwiedersehen in einer Asservatenkammer verschwinden.
»Brauchen Sie das noch?«, fragte Blomberg, als er meinen Blick sah.
»Nein«, antwortete ich und konnte nicht verhindern, dass ich mürrisch klang. Ich wich dem Blick von Max aus. Schließlich hatte ich nicht vor, in den nächsten Monaten Organisten, Mesner und Pfarrer niederzustrecken. Bei Polizisten war ich mir mittlerweile nicht mehr so sicher. Als mich Blomberg weiter so seltsam ansah, setzte ich erklärend hinzu: »Das haben wir nur zum Gockelschlachten gebraucht.«
Die Männer sahen mich an, als wäre ich verrückt.
»Nur die bösen Gockel«, erklärte ich weiter. »Die, die die Hennen immer über den Hof gehetzt haben. Bis sie keine Federn mehr hatten.« Als ich die seltsamen Blicke der Männer sah, fügte ich noch entschuldigend hinzu: »Aber wir haben keine Gockel mehr. Auch keine braven.«
Der Blomberg sah aus, als wäre er lieber in Amerika und beim CIA. Notfalls auch in Russland. Hauptsache nicht hier.
»Aber unsere Weihwasserflasche. Das wäre nicht schlecht, wenn wir die wieder hätten«, hakte ich nach, da es schon einmal um die Asservatenkammer ging. Großmutter hatte mich schon
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