In feinen Kreisen
sie ihn ansah, rangen in ihrem Gesicht Hoffnung und Resignation miteinander. Sie schüttelte den Kopf, schob den Gedanken von sich und war doch außerstande, ihn ganz loszulassen.
»Meinen Sie wirklich?«
»Es ist ein Ziel, für das sich zu kämpfen lohnt.« Er lächelte schwach. »Aber meine erste Schlacht werde ich für Sie schlagen. Wie lange haben Sie Treadwell bezahlt und wie viel?«
Ihre Stimme wurde hart. »Fünf Jahre – und ich habe ihm alles gegeben, was ich hatte, bis auf ein paar Shilling, um leben zu können.«
Rathbone spürte, wie sich sein Herz verkrampfte.
»Und am Abend seines Todes hat er noch mehr von Ihnen verlangt. Wie viel?«
Ihre Stimme wurde zu einem Wispern. Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie ihm antwortete. »Ich habe ihn an dem Abend, an dem er starb, überhaupt nicht gesehen. So ist es gewesen, so wahr mir Gott helfe.«
Er stellte die Frage, deren Antwort er gar nicht hören wollte und die er möglicherweise auch nicht glauben würde.
»Wissen Sie, wer es getan hat?«
Sie antwortete sofort und mit kalter Stimme. »Nein, ich weiß es nicht! Miriam hat mir nichts gesagt, nur dass sie es nicht gewesen ist. Aber sie war in einem schrecklichen Zustand, halb von Sinnen vor Angst und als wäre ihre letzte Stunde angebrochen.« Sie beugte sich zu ihm vor, streckte ein wenig die Hand aus und zog sie dann wieder zurück, nicht weil sie nicht das Bedürfnis hatte, sondern lediglich weil sie es nicht wagte, ihn zu berühren. »Machen Sie sich keine Gedanken um mich, Mr. Rathbone. Ich habe die Medikamente gestohlen. Mir können Sie nicht helfen. Aber bitte, helfen Sie Miriam! Das ist alles, was ich will! Wenn Sie mein Verteidiger sind, wie Sie sagen, dann verteidigen Sie Miriam. Sie hat ihn ganz bestimmt nicht ermordet. Ich kenne sie – ich habe sie großgezogen, seit sie dreizehn Jahre alt war. Sie hat ein gutes Herz, und sie würde niemals jemandem Schaden zufügen, aber irgendjemand hat ihr weh getan, und zwar so sehr, dass sie innerlich völlig leer ist. Helfen Sie ihr – bitte! Ich würde glücklich und zufrieden das Todesurteil auf mich nehmen, wenn ich nur wüsste, dass es ihr gut geht…«
Er sah ihr in die Augen, und seine Kehle schnürte sich zusammen. Er glaubte ihr, was sie sagte, aber sie hatte wohl keine wirkliche Vorstellung davon, wie es sein würde, wenn sie allein durch den kurzen Korridor zu der Falltür im Boden ging.
»Mrs. Anderson, ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas tun kann, aber ich verspreche Ihnen, dass ich keine Vergünstigungen für Sie erwirken, keine Verteidigung für Sie vorbringen werde, die Miriam Gardiner schaden könnten. Und ich werde alles in meiner Kraft Stehende tun, um einen Freispruch für sie zu erwirken, wenn Miriam es wünscht und Sie ebenfalls…«
»Ja, ich wünsche es!«, sagte sie mit unvermittelter Leidenschaft. »Und wenn sie sich mit Ihnen streitet – um meinetwillen –, sagen Sie ihr, dass ich es so wünsche. Ich habe ein gutes Leben gehabt mit sehr viel Freude darin, und ich habe die Dinge getan, die ich tun wollte. Sie ist noch sehr jung. Es ist Ihr Beruf, Menschen zu überzeugen. Also, gehen Sie zu ihr und überzeugen Sie sie. Werden Sie das tun?«
»Ich kann nur auf der Grundlage von Tatsachen handeln, aber ich werde es versuchen«, versprach er. »Und nun, wenn es noch etwas gibt, das Sie mir über diesen Abend sagen können, dann tun Sie es bitte.«
»Ich weiß sonst nichts über diesen Abend!«, beteuerte sie.
»Ich wünschte, ich wüsste etwas, dann könnte ich wenigstens einer von uns beiden helfen! Ich hatte überhaupt keine Ahnung, bis die Polizei vor mir stand, weil jemand gemeldet hatte, dass auf dem Weg vor meinem Haus eine Leiche gefunden worden sei… «
»Wann war das, um wie viel Uhr?«, unterbrach er sie.
»Ungefähr eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Ich nehme an, Miriam hat die Gesellschaft am späten Nachmittag verlassen, und es muss fast dunkel gewesen sein, als die Kutsche die Heide erreichte. Ich weiß nicht, wo er niedergeschlagen wurde, aber ich habe gehört, er sei noch vom Ort des Unglücks bis zu der Stelle gekrochen, an der er gefunden wurde.«
»Und wann haben Sie Miriam Gardiner wieder gesehen?«
»Ganz früh am nächsten Morgen. Gegen sechs Uhr etwa. Sie war die ganze Nacht draußen in der Heide gewesen und sah aus, als sei der Teufel hinter ihr her.«
»War sie in ein Handgemenge verwickelt gewesen?«, fragte er rasch. »Waren ihre
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