In feinen Kreisen
dann?«
Wieder nahm ihre Miene etwas Abweisendes an. Sie wandte den Blick ab.
»Wen schützen Sie, wenn nicht Mrs. Andersen?«, fragte er sehr sanft. »Ist es Lucius?«
Sie schauderte, sah zu ihm auf und wandte den Blick dann erneut ab.
»Hat Treadwell Ihnen etwas angetan, worauf Lucius in Streit mit ihm geriet? Und ist dieser vielleicht weiter gegangen, als er beabsichtigt hatte?«
»Nein!« Sie klang so, als überrasche sie allein schon die Vorstellung.
»Wissen Sie, wer ihn getötet hat, Mrs. Gardiner?«, fragte er mit Nachdruck.
Sie antwortete nicht. Es war praktisch ein Eingeständnis. Ihr Verhalten brachte ihn aus der Fassung. Nie zuvor hatte er sich hilfloser gefühlt, obwohl er mit vielen Fällen zu tun gehabt hatte, bei denen Menschen schrecklicher Verbrechen angeklagt waren und sich dennoch weigerten, ihm die Wahrheit zu sagen, Menschen, die sich am Ende als unschuldig erwiesen hatten, wenn nicht in juristischer, so doch in moralischer Hinsicht. Er hatte genug Erfahrung, aber es fiel ihm nichts ein, womit sich Miriam Gardiners Verhalten erklären ließ.
Dennoch weigerte er sich aufzugeben. Ja, er war mehr denn je entschlossen, sowohl Miriam als auch Cleo zu verteidigen, nicht um Hester einen Gefallen zu tun oder sich Monk gegenüber zu beweisen, sondern allein um der Sache selbst willen.
»Wusste Mrs. Stourbridge etwas über Treadwell oder über Cleo Anderson?«, forschte er weiter.
Wieder schien sie überrascht. »Nein… ich kann mir nicht vorstellen, wie sie etwas über die beiden hätte erfahren sollen! Ich habe ihr nichts erzählt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Treadwell selbst mit ihr darüber gesprochen hätte! Er war ein…« Sie brach ab. Sie schien hin und her gerissen zu sein zwischen so unterschiedlichen Gefühlen wie Zorn, Mitleid, Entsetzen, Verzweiflung.
Rathbone versuchte an ihrer Miene abzulesen, was sie empfand, sich vielleicht sogar vorzustellen, was sie dachte, scheiterte aber.
»Er war ein Mann, der böse Dinge tat«, sagte sie endlich, und sie sprach sehr leise und fast zu sich selbst. »Aber er muss auch gute Eigenschaften besessen haben und jetzt ist er tot, die arme Seele. Ich glaube nicht, dass Mrs. Stourbridge etwas über ihn wusste, abgesehen davon, dass er ein guter Kutscher war und natürlich ein Verwandter der Köchin.«
»Warum wurde sie getötet?«
Sie zuckte zusammen. »Ich weiß es nicht.« Sie sah ihn nicht an, als sie antwortete. Ihre Stimme war ausdruckslos, der Tonfall verändert.
Er spürte, dass sie log.
»Wer hat sie getötet?«
»Ich weiß es nicht«, wiederholte sie.
»Lucius?«
»Nein!« Diesmal wandte sie sich ihm zu, und ihre Augen funkelten wütend.
»Waren Sie mit ihm zusammen?« Sie schwieg.
»Sie waren nicht bei ihm. Wie können Sie dann wissen, dass er nicht der Täter war?«
Wieder antwortete sie ihm nicht.
»War es dieselbe Person, die auch Treadwell getötet hat?«
Sie machte eine schwache Bewegung. Er deutete sie als Zustimmung.
»Hat es etwas mit den gestohlenen Medikamenten zu tun?«
»Nein!« Plötzlich war sie wieder vollkommen außer sich.
»Nein, es hat überhaupt nichts mit Cleo zu tun. Bitte, Sir Oliver, verteidigen Sie sie.« Jetzt hatten ihre Worte einen flehentlichen Klang. »Sie ist der beste Mensch, den ich je kennen gelernt habe. Der einzige Gesetzesverstoß, dessen sie sich schuldig gemacht hat, ist der Diebstahl der Medikamente, um Kranke zu behandeln, die sich die teure Medizin nicht leisten können. Sie hat selbst keinen Nutzen davon gehabt.« Ihr Gesicht war gerötet.
»Wie kann das so ein großes Unrecht sein, dass es die Todesstrafe verdient? Wenn wir die Christen wären, für die wir uns ausgeben, hätte Cleo es nicht nötig gehabt, die Medikamente zu nehmen! Dann würden wir selbst für unsere Alten und Kranken sorgen. Wir wären den Männern dankbar, die für uns gekämpft haben, als wir ihren Schutz brauchten. Bitte, lassen Sie Cleo nicht dafür büßen! Es hat nichts mit ihr zu tun! Sie hat Treadwell nicht getötet, und sie kann unmöglich etwas mit dem Mord an Mrs. Stourbridge zu tun haben.« Ihre Stimme war belegt und voller Angst. »Wenn ihr das hilft freizukommen, werde ich sagen, ich hätte beide getötet!«
Er legte eine Hand auf ihren Arm. »Nein – das wäre Ihrer beider Untergang. Sagen Sie nichts. Wenn Sie mir nicht die Wahrheit anvertrauen wollen, dann belügen Sie mich wenigstens nicht. Ich werde für Sie beide tun, was ich kann. Ich akzeptiere Ihre Aussage, dass Mrs.
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