In feinen Kreisen
hat. Profitiert haben nur diejenigen, deren Wohlergehen dem Täter am Herzen lag. Sehr wahrscheinlich glaubte der Betreffende fest an die Gerechtigkeit seiner Sache.«
Sie runzelte die Stirn. »Warum sagen Sie das alles? Was wollen Sie von mir?«
Er musste unwillkürlich lächeln. »Dass Sie die Tatsache akzeptieren, dass Menschen gelegentlich Dinge tun, ohne eine Bezahlung zu erwarten, einfach weil ihnen die Sache selbst wichtig ist. Und es sind nicht nur Menschen wie Sie – manchmal sind es auch Menschen wie ich.«
Eine verlegene Röte stieg ihr ins Gesicht, und die Linie ihres Mundes wurde weicher. »Ich entschuldige mich, Mr. Rathbone, ich wollte Sie nicht beleidigen. Aber Sie können mich mit dem besten Willen nicht von der Anschuldigung befreien, dass ich diese Medikamente gestohlen habe, es sei denn, Sie fänden eine Möglichkeit, die Schuld auf eine andere arme Seele abzuwälzen, auf einen Unschuldigen – und wenn Sie das täten, wie sollte ich da in Frieden vor meinen Schöpf er treten?«
»Das ist nicht die Art und Weise, wie ich arbeite, Mrs. Anderson.« Er machte sich nicht die Mühe, ihre Anrede zu korrigieren und sie auf seinen Titel hinzuweisen. Solche Dinge schienen im Augenblick bedeutungslos zu sein. »Wenn Sie die Medikamente entwendet haben, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir plädieren auf mildernde Umstände und bauen darauf, dass man bei Ihrer Verurteilung Ihre gute Absicht anerkennt, statt nur den Gesetzesverstoß in Ihrer Tat zu sehen, – oder aber ich versuche, das Gericht ganz von dem Diebstahl abzulenken, und hoffe, dass die Richter sich auf andere Dinge konzentrieren.«
»Auf andere Dinge?« Sie schüttelte den Kopf. »Man behauptet, ich hätte Treadwell getötet, weil er mich wegen der Medikamente erpresste. Von dieser Anklage werden Sie wohl nicht ablenken können!«
»Und, hat er es getan?«
Sie zögerte. Dann holte sie tief Luft und stieß einen leisen Seufzer aus. »Ja.«
Er wartete darauf, dass sie noch etwas hinzufügte, aber sie schwieg.
»Wie hat er das mit den Medikamenten herausgefunden«, fragte er.
»Das war wohl nicht weiter schwierig.« Sie starrte vor sich hin. »Viele Leute hätten das herausfinden können, wenn sie darüber nachgedacht und genau hingesehen hätten. Ich habe etwa zwanzig alten Leuten, die wirklich sehr krank waren, Sachen gebracht. Ich weiß nicht, warum ich in der Vergangenheit über sie rede – sie sind immer noch sehr krank, und ich sitze nutzlos hier rum!« Sie blickte zu ihm auf. »Es gibt nichts, was Sie tun können, Mr. Rathbone. Alle Fragen der Welt werden daran nichts ändern. Ich habe die Medikamente gestohlen, und es wird nicht schwer sein, das zu beweisen. Treadwell hat es in Erfahrung gebracht. Ich weiß nicht, wie, aber es ist ihm gelungen.«
Dagegen gab es nichts einzuwenden. Er hörte Schritte im Korridor, aber der Wärter ging an ihrer Tür vorüber, und niemand störte sie.
Cleo Anderson sah ihn ernst und mit ängstlichem Blick an.
»Mr. Rathbone – lassen Sie nicht zu, dass die Polizei zu all den Leuten geht, denen ich Medikamente gebracht habe. Es ist schlimm genug, dass ihnen jetzt niemand mehr hilft. Ich möchte nicht, dass sie erfahren, dass sie in ein Verbrechen verwickelt waren – selbst wenn sie nichts davon wussten.«
Er wünschte, er könnte dies verhindern, aber die Diebstähle würden nur allzu bald bekannt werden. Die Zeitungen würden über die Verhandlung berichten und an jeder Straßenecke würden die Leute darüber schwatzen. Was sollte er ihr sagen?
Sie wartete auf seine Antwort, und in ihrer Miene schien Hoffnung auf.
Er musterte sie, so als hätte er sie noch nie zuvor gesehen, als hätte er nicht während der vergangenen zehn Minuten mit ihr gesprochen und sich ein Urteil gebildet. Sie hatte ihre eigene Freiheit aufs Spiel gesetzt, hatte selbstständig einen Entschluss gefasst, um alten und kranken Menschen zu helfen. Sie verdiente es nicht, dass man sie belog, und sie würde die Wahrheit am Ende ohnehin erfahren.
»Ich kann die Polizei nicht daran hindern, Mrs. Anderson«, sagte er sanft und selbst überrascht von der Hochachtung, die in seiner Stimme lag. »Und wenn es zur Verhandlung kommt, wird ohnehin alles an die Öffentlichkeit kommen. Das ist vielleicht das einzig Gute an dieser Sache. Ganz London wird von der Notlage unserer Alten erfahren, denen wir so viel schulden. Wir können sogar hoffen, dass ein paar Menschen den Kampf aufnehmen werden, um die Dinge zu ändern.«
Als
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