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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Kleider zerrissen oder schmutzig, wiesen sie Schlamm oder Grasflecken auf?«
    Er sah, wie ihre Miene sich verschloss. Sie hatte Angst, dass er versuchte, den Verdacht auf Miriam zu lenken. »Nein. Sie sah nur so aus, als sei sie gerannt oder habe Angst gehabt.«
    War das eine Lüge? Das konnte er nicht beurteilen. Allerdings war ihm klar, dass sie damit alles gesagt hatte. Er erhob sich. Die Tatsache, dass sie ihm ihr Vertrauen verweigerte, zumindest so weit es Miriam betraf, änderte nichts an seiner Bewunderung für sie oder an seiner Entschlossenheit, alles Menschenmögliche zu tun, um ihr zu helfen.
    »Ich werde mit Mrs. Gardiner sprechen«, erklärte er. »Bitte, reden Sie mit niemandem sonst über die Angelegenheit. Ich werde zurückkommen, wenn ich Ihnen etwas mitzuteilen habe oder Ihnen weitere Fragen stellen muss. Sie haben mein Wort, dass ich nichts ohne Ihre Erlaubnis unternehme.«
    »Ich danke Ihnen«, antwortete sie. »Ich – ich weiß wirklich zu schätzen, was Sie für mich tun, Mr. Rathbone. Würden Sie das bitte auch Mrs. Monk sagen… und…«
    »Ja?«
    »Nein – sonst nichts.«
    Rathbone klopfte an die Tür, und der Wärter ließ ihn hinaus. Als er durch den düsteren Korridor ging, dachte er darüber nach, was sie Hester vielleicht noch hatte ausrichten lassen wollen. Diese Frau war bereit, jedes Risiko einzugehen, jedes Opfer zu bringen für das, was sie für richtig hielt, und um jene zu retten, die sie liebte. Kein Wunder, dass Hester ihre Verteidigung so sehr am Herzen lag. Sie hätte an Cleos Stelle durchaus das gleiche tun können! Er sah Hester vor sich, wie sie mit genau der gleichen Loyalität lieber sich selbst opfern würde als ihrer Überzeugung abzuschwören. War es das, was Cleo hatte sagen wollen – eine Anweisung oder Warnung an Hester, was die Medikamente betraf? War es eine Bitte? Und war Hester ihr vielleicht schon unaufgefordert nachgekommen? Ihm wurde übel bei dem Gedanken, und sein Magen verkrampfte sich.
    Rathbone erhielt die Erlaubnis, mit Miriam zu sprechen, aber es war nicht so einfach wie in Cleo Andersons Fall. Die Voraussetzungen waren anders. Cleo saß in einer Polizeizelle des Reviers in Hampstead, und sie war den Polizisten dort bekannt – persönlich oder vom Hörensagen. Sie wussten zweifellos, dass sie eine bewundernswerte Frau war, eine Frau, deren Leben sie weit höher schätzten als das eines schäbigen Erpressers.
    Miriam hingegen saß im Gefängnis und wurde beschuldigt, ihre zukünftige Schwiegermutter umgebracht zu haben, möglicherweise deshalb, weil diese etwas aus Miriams Vergangenheit wusste, was die Heirat verhindert hätte. Dieser Fall lag vollkommen anders.
    Miriam entsprach keineswegs dem Bild, das Rathbone sich von ihr gemacht hatte. Erst als er sie vor sich sah, wurde ihm bewusst, dass er eine Frau von aufreizender Attraktivität erwartet hatte, mit verführerischem Blick und einnehmendem Charme, die keine Zeit verlieren würde, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Stattdessen fand er eine zarte Frau mit blassem, müdem Gesicht vor, das erfüllt war von innerer Ruhe – eine Frau, von der eine Stärke ausging, die ihn verblüffte. Sie bewahrte absolute Zurückhaltung, selbst nachdem er ihr erklärt hatte, wer er war und was ihn zu ihr führte.
    »Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich die Zeit nehmen, Sir Oliver«, sagte sie so leise, dass er sich vorbeugen musste, um ihre Worte zu verstehen. »Aber ich glaube nicht, dass Sie mir helfen können.« Sie wich seinem Blick aus, und ihm war klar, dass sie ihn in gewisser Weise bereits entlassen hatte.
    Wenn er nicht an ihren Verstand appellieren konnte, würde er es mit ihren Gefühlen versuchen müssen. Er nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz und schlug die Beine übereinander, als habe er die Absicht, es sich bequem zu machen.
    »Hat man Ihnen gesagt, dass Sie und Mrs. Anderson des gemeinschaftlichen Mordes an Treadwell und Mrs. Stourbridge beschuldigt werden?«
    Sie starrte ihn fassungslos an, und ihre dunkelgrauen Augen weiteten sich. »Das ist absurd! Wie kann jemand nur auf die Idee kommen, Mrs. Anderson habe etwas mit Mrs. Stourbridges Tod zu tun? Sie saß zu dem Zeitpunkt im Gefängnis! Sie müssen sich irren!«
    »Ich irre mich nicht.« Er erklärte ihr die Lage. »Die Polizei weiß selbstverständlich über all diese Dinge Bescheid. Man glaubt, Sie und Mrs. Anderson hätten von Anfang an Ihre Heirat mit Lucius Stourbridge geplant, um sich Zugang zu seinem großen Vermögen zu

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