In feinen Kreisen
es tat. Er hatte entweder Stillschweigen bewahrt oder doch zumindest ein Auge zugedrückt. Obwohl es allem widersprach, was seine Ausbildung ihn gelehrt hatte, musste er den Mann dafür bewundern, und er hörte auf, nach Beweisen zu suchen, die seine Theorie stützen könnten.
So war es schon nach sieben Uhr, als er sich auf die Suche nach Sergeant Robb machte, und er musste um seine Privatadresse bitten, um ihn am gleichen Tag noch sprechen zu können.
Er fand das Haus ohne große Mühe, aber trotz Michaels höflicher Begrüßung kam er sich wie ein Eindringling vor, denn Robb war gerade dabei, den alten Mann zu versorgen. Sein Gesicht war blass, bis auf zwei rote Flecken auf den Wangen. Sein Anblick gab der Arbeit, für die Cleo Anderson so viel zu riskieren bereit war, einen Sinn. Zu seinem eigenen Erstaunen verspürte Rathbone einen tiefen Zorn in sich aufsteigen über die Situation, über seine eigene Hilflosigkeit, etwas daran zu ändern, und über die Welt, die von diesen Dingen nichts wusste oder nichts wissen wollte. Es fiel ihm daher schwer, Michael Robb mit ruhiger Stimme anzusprechen.
»Guten Abend, Sergeant. Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich Sie zu einem so ungünstigen Zeitpunkt stören muss, aber wenn ich Sie auf dem Polizeirevier vorgefunden hätte, wäre das natürlich nicht nötig gewesen.«
»Was kann ich für Sie tun, Sir Oliver?«, fragte Michael. Er war höflich, aber wachsam. Rathbone gehörte sowohl einer Gesellschaftsschicht als auch einem Berufsstand an, mit denen er selten in Berührung kam, es sei denn vor Gericht.
»Ich habe die Verteidigung von Mrs. Anderson in dem Mordfall übernommen«, erwiderte Rathbone mit einem verlegenen Lächeln. Er konnte niemandem weismachen, dass er sich viel Erfolg davon versprach, und er wollte nicht, dass Robb ihn für einen Narren hielt. »Die Frage des Diebstahls ist eine andere Sache.«
»Es tut mir Leid«, sagte Michael. »Es hat mir keine Freude gemacht, Anklage gegen sie zu erheben. Aber ich kann sie nicht zurückziehen.«
»Das ist mir klar. Die Diebstähle sind das Motiv für den Mord an Treadwell.«
»Reden Sie von Cleo Anderson?«, unterbrach ihn der alte Mann, der erst Rathbone, dann Michael ansah.
Michael verzog das Gesicht, und er warf Rathbone einen tadelnden Blick zu. »Ja, Großpapa.«
Rathbone hatte den Eindruck, dass Michael diese Frage lieber mit einer Lüge beantwortet hätte, um den alten Mann vor einer Enttäuschung zu bewahren. Wusste er, wie viel er selbst Cleo Anderson schuldete?
Der alte Mann sah Rathbone an. »Und Sie werden sie verteidigen, junger Mann?« Er musterte ihn eingehend, von den wunderschön gearbeiteten Stiefeln und der maßgeschneiderten Hose bis hin zu seinem Mantel und dem seidenen Halstuch.
»Und wie kommt ein Gentleman, der aussieht wie ein Offizier und noch dazu einen Titel trägt, dazu, eine arme Frau wie Mrs. Anderson zu verteidigen?«
»Ich will keine Bezahlung, Mr. Robb«, antwortete Rathbone.
»Ich habe den Auftrag übernommen, um einer Freundin, Mrs. Monk, einen Gefallen zu erweisen. Ich glaube, Sie kennen sie …« Er sah das Aufblitzen von Freude in den Augen des alten Mannes und spürte, wie ihm warm ums Herz wurde. »… und ich setze meine Arbeit aus Wertschätzung für Mrs. Anderson selbst fort, jetzt, nachdem ich Sie kennen gelernt habe.«
Michael sah ihn besorgt an. Rathbone wusste, was ihm Angst machte. Er fürchtete sich selbst nicht weniger davor. Er brauchte erst gar nicht in das Regal in der gegenüberliegenden Ecke des Raums zu sehen, um zu wissen, dass dort die Medikamente lagen, die Cleo hergebracht hatte und die jetzt wahrscheinlich von Hester aufgefüllt wurden, wenn es notwendig war. Es hatte keinen Sinn, sie zu bitten, es nicht zu tun – er bezweifelte, dass selbst Monk da viel ausrichten konnte.
Er zog es deshalb zum einen aus juristischen Gründen und zum anderen um seines eigenen Seelenfriedens willen vor, nicht zu wissen, was sich in diesem Schränkchen befand oder wie es dorthin gelangte.
Michael sah verstohlen zu dem Schrank hinüber und wandte dann hastig den Blick ab.
»So, Sie wollen sie also vor Gericht vertreten?«, fragte der alte Mann Rathbone.
»Ja, das will ich«, erwiderte Rathbone.
John Robb verzog das Gesicht. Seine Stimme war heiser, kaum mehr als ein Flüstern. »Was können Sie für sie tun, junger Mann? Seien Sie ehrlich zu mir.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Rathbone freimütig. »Ich glaube, sie hat die Medikamente
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