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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie Treadwell seine Freizeit verbracht hatte, die anscheinend ziemlich großzügig bemessen war. Der Kutscher hatte, wie Monk feststellte, dazu geneigt, ziemlich über die Stränge zu schlagen. Aber es schien im Abstand von etwa zwei Wochen immer wieder einige Stunden gegeben zu haben, über deren Gestaltung Monk keine Informationen finden konnte, und er kam zu dem Schluss, dass Treadwell diese Zeit entweder benutzt hatte, um Morphium zu verkaufen oder um andere Opfer zu erpressen.
    Das Letzte, was Monk an diesem Tag tat, war ein Besuch bei Cleo. Er wurde vorgelassen, nachdem er dem Gefängniswärter glaubhaft versichert hatte, er sei Rathbones Angestellter. Er hatte zwar keine Beweise für diese Behauptung, aber der Wärter hatte ihn bei einer früheren Gelegenheit mit Rathbone gesehen und hatte keine Einwände. Vielleicht aber war es auch sein Mitgefühl für Cleo, das ihn bewog, ein Auge zuzudrücken.
    Cleo war überrascht, ihn zu sehen, aber in ihren Augen glomm keine Hoffnung. Sie sah ausgezehrt und erschöpft aus und hatte kaum mehr Ähnlichkeit mit der Frau, der er vor zwei Monaten begegnet war.
    Ihr Anblick rief Gefühle des Zorns und der Empörung über die Ungerechtigkeit dieser Welt in ihm wach, die heftiger waren, als er erwartet hätte. Wenn er in diesem Fall versagte, würde er sich das so schnell nicht verzeihen, vielleicht bis an sein Lebensende nicht.
    Er durfte keine Zeit für Worte des Mitleids oder der Ermutigung vergeuden. Außerdem wusste er, dass sie ohnehin verschwendet gewesen wären, denn sie hatten keine Bedeutung für Cleo.
    »Wissen Sie, ob Treadwell außer Ihnen noch jemanden erpresst hat?«, fragte er sie, während er ihr gegenüber Platz nahm.
    »Nein. Warum? Meinen Sie, der Betreffende hat ihn getötet?« Fast glaubte er, so etwas wie Hoffnung in ihrer Stimme zu hören.
    Seine Aufrichtigkeit verbot es ihm, dieser Hoffnung Nahrung zu geben. »Es wäre möglich, und deshalb muss ich wissen, wie viel Sie ihm bezahlt haben«, antwortete er. »Ich habe mir einen ziemlich genauen Überblick darüber verschafft, wie viel er in den letzten zwei oder drei Monaten seines Lebens ausgegeben hat. Wenn die gesamte Summe von Ihnen stammt, dann müssen Sie einen Teil des gestohlenen Morphiums verkauft haben.«
    Ihr Körper verkrampfte sich, und sie sah ihn wütend an. »Das hab ich nicht getan! Und ich habe ihm auch keins gegeben!«
    »Wir müssen es beweisen«, wandte er ein. »Haben Sie irgendwelche Unterlagen über den Lohn, den das Krankenhaus Ihnen gezahlt hat, über sämtliche Medikamente, die Sie entwendet haben sowie über die Personen, an die Sie die Medikamente weitergegeben haben?«
    »Nein – natürlich habe ich nichts dergleichen!«
    »Aber Sie kennen alle Patienten, denen Sie Medikamente gebracht haben«, beharrte er.
    »Ja…«
    »Dann schreiben Sie sie für mich auf. Hier.« Er gab ihr Papier und Bleistift. »Schreiben Sie mir Namen und Adressen auf und welche Medikamente Sie dem Betreffenden gegeben haben und über welchen Zeitraum.«
    Sie sah ihn kurz an, dann gehorchte sie und führte den Bleistift mit langsamen, bedächtigen Bewegungen über das Papier.
    Würde seine Idee einen Sinn haben, oder suchte er lediglich eine Möglichkeit, sich zu beschäftigen, damit er sich einreden konnte, er bemühe sich, sie zu retten? Was konnte er mit diesen Listen anfangen? Wer würde zuhören, wer würde sich dafür interessieren, ganz gleich, zu welchen Ergebnissen er kam? Beweise waren das Einzige, was vor Gericht zählte. Die Geschworenen hatten Cleo und Miriam im Stillen bereits verurteilt. Man würde sie zwingen müssen, von dieser Überzeugung abzurücken, es genügte nicht, einfach zu sagen, dass es noch eine andere, wenn auch noch so kleine Möglichkeit gab.
    Cleo war mit der Liste fertig. Es standen achtzehn Namen darauf.
    »Ich danke Ihnen.« Er nahm den Bogen Papier entgegen und warf einen Blick darauf. »Wie viel verdienen Sie im Krankenhaus?«
    »Sieben Shilling die Woche.« Sie sagte dies mit einigem Stolz, als sei das für eine Krankenschwester ein guter Lohn.
    Er zuckte leicht zusammen, denn er wusste, dass ein Wachtmeister das Dreifache verdiente.
    »Wie lange arbeiten Sie?« Die Frage war gestellt, bevor er richtig nachgedacht hatte.
    »Zwölf bis fünfzehn Stunden am Tag«, antwortete sie.
    »Und wie viel haben Sie Treadwell gezahlt?«
    Ihre Stimme klang müde. »Fünf Shilling die Woche.« Ohnmächtiger Zorn packte ihn und

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