In feinen Kreisen
hoffen. Ich halte es nicht für klug, meinem Sohn bei der Wahl seiner Ehefrau Vorschriften zu machen. Mir ist es wichtiger, dass er glücklich wird, als ein Dutzend Kinder mit einer Frau in die Welt zu setzen, die er nicht liebt.«
»Und empfand Mrs. Stourbridge das genauso?«, fragte Tobias weiter. »Viele Frauen wünschen sich sehnlichst Enkelkinder. Es ist ein großes Bedürfnis…« Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen, damit die Geschworenen ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen konnten.
»Ich glaube nicht, dass meine Frau so dachte«, antwortete Stourbridge unglücklich. Rathbone gewann den Eindruck, dass hinter seinen Worten vieles ungesagt blieb, aber er war ein sehr zurückhaltender Mensch, dem es zutiefst widerstrebte, sein Leben vor anderen auszubreiten. Er würde nichts mehr hinzufügen, wenn man ihn nicht dazu zwang.
Tobias fragte ihn nach Miriams Besuchen am Cleveland Square und wie sie sich verhalten hatte. Es war allen Anwesenden klar, dass Harry Stourbridge Miriam ohne jede Einschränkung zugetan war. Ihr Verrat erschütterte ihn, er schien es noch immer nicht zu begreifen.
Während Stourbridges Aussage warf Rathbone hin und wieder einen Blick zur Anklagebank hinauf und sah den Schmerz in Miriams Gesicht. Es musste ihr wie eine Folter erscheinen, still dazusitzen und alles schweigend über sich ergehen zu lassen.
Nicht ein einziges Mal bemerkte er jedoch, dass einer der Geschworenen Miriam oder Cleo ansah. Sie waren ganz gefangen von Stourbridges Leid. Rathbone konnte in ihren Mienen sowohl Mitleid als auch Respekt lesen. Ein paar Mal hatte er den Eindruck, als identifiziere sich einer der Männer mit Stourbridge, als versetzte er sich an dessen Stelle – und hätte ganz genauso gehandelt wie dieser, genauso empfunden. Rathbone fragte sich flüchtig, ob sich einige der Geschworenen vielleicht selbst in einer ähnlichen Lage wie Stourbridge befanden. Er konnte die Geschworenen nicht auswählen. Sie mussten Grundbesitzer mit einem gewissen Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen sein und natürlich männlichen Geschlechts. Es war nicht möglich, Personen als Geschworene zu verpflichten, die sich mit Miriam oder Cleo identifizieren würden. So viel zu dem Thema, dass die Geschworenen aus den gleichen Kreisen stammen sollten wie der Angeklagte.
Am Nachmittag lehnte Tobias ab, Lucius Stourbridge in den Zeugenstand zu rufen. Es war eine Tortur, die er einem jungen Mann, der bereits auf unerträgliche Weise gelitten hatte, ersparen wollte.
Die Geschworenen nickten respektvoll. Sie hätten es Tobias nicht verziehen, wenn er anders gehandelt hätte. Und auch Rathbone stimmte dem zu.
Tobias rief den letzten Zeugen auf, Aiden Campbell. Er machte seine Aussage ruhig, zurückhaltend und freimütig.
»Ja, sie besaß großen Charme«, sagte er traurig. »Ich glaube, alle im Haus mochten sie.«
»Einschließlich Ihrer Schwester, Mrs. Stourbridge?« Die Frage blieb unbeantwortet.
Campbell sah sehr bleich aus, und unter den Augen hatte er dunkle Ringe. Er stand sehr aufrecht im Zeugenstand, zitterte aber ganz leicht, und ab und zu musste er innehalten, um sich zu räuspern. Es war für alle Anwesenden im Gerichtssaal offensichtlich, dass der Mann von tiefen Gefühlen bewegt wurde und nahe daran war, die Fassung zu verlieren.
Tobias entschuldigte sich ein ums andere Mal, dass er ihn zwingen musste, Dinge noch einmal zu durchleben, die wahrhaft schrecklich für ihn gewesen sein mussten.
»Ich verstehe«, sagte Campbell und biss sich auf die Unterlippe. »Die Gerechtigkeit verlangt von uns, dass wir diesen Weg bis an sein bitteres Ende gehen müssen. Ich baue darauf, dass Sie das so zügig wie möglich tun werden.«
»Selbstverständlich«, pflichtete Tobias ihm bei. »Können wir uns jetzt den Tagen unmittelbar vor dem Tod Ihrer Schwester zuwenden?«
Campbell schilderte ihnen mit dürren Worten und ohne die Stimme zu erheben von Miriams letztem Besuch am Cleveland Square nach ihrer Entlassung aus dem Polizeigewahrsam, nachdem man die Anklage wegen des Mordes an Treadwell zurückgezogen hatte. Campbell zufolge befand Miriam sich in einem Zustand solch tiefer Verstörung, dass sie kaum noch ihr Zimmer verließ, und wenn doch, so habe sie sich wie in Trance bewegt. Sie sei höflich gewesen, mehr nicht, sei Lucius aus dem Weg gegangen und habe ihm nicht einmal erlaubt, sie in ihrem Kummer Cleo Andersons wegen zu trösten.
»Hing sie sehr an Mrs. Anderson?«, fragte Tobias.
»Ja.« Campbeils
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