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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Monk verfolgte sein Ziel mit großer Umsicht. Er ging auf die kleinste Einzelheit ein, weil er sich davor fürchtete, mit seinen Nachforschungen zum Ende zu kommen. Zu groß war die Angst, dass er bestätigt finden würde, was er ohnehin schon wusste: dass es keinen Sinn hatte zu versuchen, Cleo Anderson oder Miriam Gardiner retten zu wollen.
    Hester ging geradewegs ins Hospital. Phillips würde dort sein, obwohl es Samstag war. Für gewöhnlich nahm er sich nur die Sonntage frei, und auch dann meist nur die Vormittage. Trotzdem musste sie eine halbe Stunde nach ihm suchen, bis sie ihn fand – nachdem sie drei Medizinstudenten nach ihm gefragt hatte, die sich gerade in einer lebhaften Diskussion über Anatomie befanden.
    »Ausgezeichnet!«, sagte einer von ihnen gerade mit leuchtenden Augen. »Wir können uns wirklich glücklich schätzen, hier zu sein. Mein Vetter studiert in Lincoln, und er sagt, sie müssten dort wochenlang auf eine Leiche warten, die sie sezieren können, und alle Zeichnungen der Welt sind praktisch wertlos, verglichen mit einem echten Körper.«
    »Ich weiß«, pflichtete ein anderer ihm bei. »Und Thorpe ist einfach wunderbar. Seine Erklärungen sind immer so klar.«
    »Liegt wahrscheinlich daran, dass er es schon so oft gemacht hat«, gab der Erste zurück.
    »Entschuldigen Sie bitte!«, unterbrach Hester sie, »wissen Sie, wo Mr. Phillips ist?«
    »Phillips? Ist das der Rothaarige, der ein wenig stottert?«
    »Ich meine Phillips den Apotheker!« Sie konnte sich nur mit Mühe beherrschen. »Ich muss dringend mit ihm sprechen.«
    Der erste junge Mann wandte sich stirnrunzelnd zu ihr um und musterte sie jetzt genauer. »Sie sollten nicht nach Medikamenten suchen, – wenn einer der Patienten etwas…«
    »Ich brauche keine Medikamente!«, fuhr sie ihn an. »Ich muss mit Mr. Phillips sprechen. Wissen Sie nun, wo er ist, oder nicht?«
    Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes wurde hart. »Nein, ich weiß es nicht.«
    Einer der anderen Studenten beschloss, ihr behilflich zu sein, welche Gründe auch immer dahinter stecken mochten.
    »Er ist unten im Leichenschauhaus«, antwortete er. »Dem neuen Assistenten ist ein wenig mulmig geworden. Er hat ihm eine Kleinigkeit gegeben, die ihn wieder auf die Beine bringen soll. Wahrscheinlich ist er immer noch da.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Hester schnell. »Ich danke Ihnen sehr.« Und dann lief sie den Korridor entlang, durch den Nebeneingang hinaus und die Treppe hinunter, die in einen kalten, unterirdischen Raum führte. Dort wurden die Toten untergebracht, bis der Bestattungsunternehmer kommen konnte, um die Formalitäten zu erledigen.
    »Hallo, Mrs. Monk. Sie sehen ein wenig spitz aus heute Morgen«, sagte Phillips gut gelaunt. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich bin froh, dass ich Sie gefunden habe.« Sie drehte sich um und sah den blassgesichtigen jungen Mann an, der mit ausgestreckten Beinen am Boden saß. »Geht es Ihnen wieder besser?«, fragte sie ihn.
    Er nickte verlegen.
    »Er hat sich erschrocken«, sagte Phillips mit einem Grinsen.
    »Eine der Leichen bewegte sich und unser junger Freund hier, Jake, wäre um ein Haar in Ohnmacht gefallen. Es hat ihm anscheinend niemand gesagt, dass manchmal noch Gase entweichen. Die Gasbildung hört nicht auf, mein Sohn, bloß weil man tot ist.«
    Jake rappelte sich mühsam auf, fuhr sich mit den Händen durchs Haar und versuchte, so auszusehen, als könne er nun seinen Dienst wieder aufnehmen.
    Hester ließ ihren Blick über die Tische wandern. Zwei Leichen lagen unter ungebleichten Laken.
    »Es waren nicht besonders viele in letzter Zeit«, bemerkte Phillips, der ihrem Blick gefolgt war.
    »Gut!«, antwortete sie.
    »Nein – sie sind nicht hier gestorben, sondern wurden für die Studenten hergebracht«, klärte er ihren Irrtum auf. »Der alte Thorpe tobt vor Wut. Er kann einfach keine kriegen.«
    »Woher bekommt er sie denn normalerweise?«
    »Weiß Gott! Leichenräuber!«, sagte er mit einem Anflug schwarzen Humors.
    Jake starrte ihn mit offenem Mund an. Er stieß einen leisen Pfiff aus.
    »Ist das Ihr Ernst?«, fragte er heiser. »Sie meinen Grabräuber?«
    »Nein, natürlich meine ich das nicht, Sie dummer Junge!«, sagte Philipps kopfschüttelnd. »Sehen Sie zu, dass Sie wieder an die Arbeit kommen.« Er wandte sich an Hester. »Was kann ich für Sie tun, Mrs. Monk?« Alle Heiterkeit verschwand aus seinem Gesicht. »Haben Sie Cleo Anderson gesprochen? Können wir irgendetwas für sie tun, außer auf

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