In feinen Kreisen
solche Abende vor sich zu haben wie diesen, erfüllte sie mit Schrecken. Sie würde von ihrer anstrengenden Arbeit nach Hause kommen und dann anfangen müssen, Einkaufslisten zu erstellen, mit Händlern zu feilschen, Kartoffeln zu schälen, Zwiebeln zu hacken, kochen, backen und putzen zu müssen. Hinzu kam die Wäsche, das Bügeln und das allabendliche Ausfegen! Sie schluckte heftig bei diesem Gedanken. Sie liebte ihn, ärgerte sich über ihn, bewunderte ihn, verachtete ihn…. aber immer waren die Gefühle für ihn so stark, dass sie alles andere in den Hintergrund drängten.
»Was hast du heute gemacht?«, erkundigte sie sich. Was ihr durch den Kopf schoss, war die Möglichkeit, eine Dienstbotin einzustellen, eine Frau, die ins Haus kam, um die notwendigsten Arbeiten auszuführen. Wie viel würde das kosten? Konnten sie es sich leisten? Sie hatte ihm versprochen, keine privaten Pflegefälle mehr anzunehmen, wie sie es vor ihrer Hochzeit getan hatte.
Sie wusch sich die Hände, füllte einen Topf mit kaltem Wasser und stellte ihn auf den kleinen Herd, bevor sie sich Kartoffeln, Mohren, Zwiebeln und Kohl zurechtlegte.
Bei ihrer Hochzeit – an einem wunderschönen sonnigen Frühlingstag mit dem Duft von Lilien in der Luft, Vogelgezwitscher und dem Klirren von Zaumzeug, dazu das Geräusch von Pferdehufen und das Geläut von Kirchenglocken – hatte die Erregung ihr derart die Brust zugeschnürt, dass sie kaum atmen konnte. In der Kirche selbst war es kühl gewesen.
Vor ihrem inneren Auge sah sie wieder die Kirchenbänke vor sich und den langen Gang, der zum Altar führte. Das bunte Glas der Fenster funkelte wie Juwelen in der Sonne. Alles, was sie danach gesehen hatte, waren Monks steife Schultern gewesen, sein dunkles Haar, dann sein Gesicht, als er der Versuchung nicht widerstehen konnte, sich nach ihr umzudrehen.
Jetzt lehnte er an der Tür, und sie hatte nicht gehört, was er gesagt hatte.
»Es tut mir Leid«, entschuldigte sie sich. »Ich war in Gedanken beim Essen. Was hast du gesagt?«
»Lucius Stourbridge«, wiederholte er sehr deutlich. »Seine zukünftige Frau hat die Gesellschaft mitten in einem Krocketspiel verlassen und wurde seither nicht mehr gesehen. Das war vor drei Tagen.«
Sie ließ die Möhre, die sie geschrappt hatte, sinken und drehte sich zu ihm um.
»Sie hat die Gesellschaft verlassen? Wie? Ist ihr denn niemand gefolgt?«
»Zuerst dachte man, ihr sei plötzlich schlecht geworden.« Er erzählte ihr die Geschichte, so wie er sie gehört hatte.
Hester versuchte sich in Miriam Gardiner hineinzuversetzen. Was mochte sie empfunden haben, als sie davonlief? Und was hatte sie dazu bewegen? War es Panik vor einem derartigen Einschnitt in ihrem Leben gewesen? Oder hatte sie nur ihre Meinung geändert? In diesem Fall hätte sie es ja sagen können, auch wenn es schrecklich unangenehm und peinlich war. Aber man verschwand doch nicht einfach spurlos.
»Was ist?«, fragte er, als er in ihr Gesicht sah. »Ist dir etwas eingefallen?«
Sie erinnerte sich an die Möhren und machte sich wieder an die Arbeit.
»Ich nehme an, es war kein anderer Mann im Spiel?«, fragte sie. Im Topf begann das Wasser zu kochen, kleine Bläschen stiegen auf und zerplatzten. Sie musste sich mit den Kartoffeln beeilen und stellte einen zweiten Topf für den Kohl auf den Herd. Wenn sie ihn nur grob hackte, würde es schneller gehen.
Eine Weile schwieg er. »Ich nehme an, das ist die einzig mögliche Lösung«, fuhr er schließlich fort. »Irgendwie muss Treadwell mit der Sache zu tun haben, denn sonst wäre er zurückgekommen.«
»Er witterte eine Chance, die Kutsche zu stehlen, und hat die Gelegenheit einfach beim Schöpf gepackt«, meinte sie. Dann gab sie die Kartoffeln und die Möhren in den Topf, fügte ein klein wenig Salz hinzu und legte den Deckel auf. »William?«
»Was denn?«
Wie konnte sie das Thema anschneiden, ohne zu riskieren, dass er sie aufforderte, die Arbeit im Krankenhaus aufzugeben, und wie konnte sie gleichzeitig vermeiden, dass er den Eindruck gewann, sie erwarte ein besseres Leben von ihm, als er ihr zu bieten vermochte?
»Wirst du den Fall übernehmen?«
»Das hab ich dir doch bereits gesagt! Ich wünschte, ich hätte es nicht getan, aber ich habe mein Wort gegeben.«
»Und warum bedauerst du das jetzt?« Sie hielt den Blick auf das Messer gerichtet, mit dem sie gerade den Kohlkopf bearbeitete.
»Weil meine Ermittlungen nur zu einem tragischen Ende für die Familien führen können!«,
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