In feinen Kreisen
sprachen von tiefster Armut.
Er sah sie ungläubig an.
Sie fasste einen Entschluss. »Ich werde mit Dr. Warner sprechen und sehen, ob Sie nicht für ein paar Tage hier bleiben können…« Die Bestürzung in seinem Gesicht ließ sie innehalten. »Sie brauchen Ruhe.«
»Ich habe ein Bett zu Hause!«, protestierte er.
»Natürlich. Aber Sie brauchen ein wenig Erholung und jemanden, der Zeit hat, sich um Sie zu kümmern.«
Seine Augen weiteten sich. »Aber nicht eine von denen! Nicht eine Krankenschwester!« Der Gedanke erfüllte ihn offensichtlich mit Angst.
»Ich werde hier sein«, beruhigte sie ihn. Sie hatte sich in eine Lage gebracht, in der sie irgendetwas sagen musste.
»Was sind Sie denn?« Seine Neugier gewann die Oberhand über seinen Respekt.
»Ich bin Krankenschwester«, antwortete sie hastig und fügte dann mit einem Anflug von Stolz hinzu: »Ich war auf der Krim.«
Er sah sie voll Erstaunen an. Das Wort besaß noch immer magischen Zauber.
»Sie waren dort?« Ein Ausdruck der Hoffnung trat in seine Augen, und sie fühlte sich schuldig, weil es so einfach gewesen war, ihn zu überzeugen – und weil sie nicht darüber nachgedacht hatte, wie wenig sie in Wirklichkeit für ihn tun konnte. Wenn sie doch nur Thorpe davon überzeugen könnte einzusehen, wie wichtig es war, dass alle Krankenschwestern dieses Vertrauen bei den Patienten erweckten, ein Vertrauen, das nicht auf Wundern basierte, sondern auf Sachverstand und Freundlichkeit.
Aber wie sollten diese Frauen dazu in der Lage sein, wenn man ihnen keine Ausbildung gab und die Ärzte nur Verachtung für sie übrig hatten? Der Zorn stieg in ihr auf. Unbewusst verkrampfte sich ihr ganzer Körper.
Harry Jackson ließ sie nicht aus den Augen. Sie musste mit ihm reden, musste ihn beruhigen. Niemand konnte seine Krankheit heilen. Wie die Hälfte der Menschen in diesem Raum hatte er das Stadium, in dem eine Hilfe möglich gewesen wäre, längst hinter sich, aber sie konnte seine Angst ein wenig mindern und zumindest für eine gewisse Zeit die Schmerzen lindern.
In dem Augenblick trat der Arzt durch die Tür. Er wirkte resigniert und müde in seinem sauberen Kittel und den in den Kniekehlen ein wenig faltigen Hosen. Noch während er Harry Jackson ins Sprechzimmer rief, wusste auch er, dass er kaum etwas ausrichten konnte.
Hester ging zu einem anderen Patienten und begann mit diesem ein Gespräch. Sie hörte ihm zu, während er von seiner Familie erzählte, von seinem Zuhause, der Schwierigkeit, über die Runden zu kommen, wenn man zu krank war, um zu arbeiten, ganz zu schweigen davon, auch noch die Medizin zu bezahlen.
Eine Krankenschwester schlurfte mit einem leeren Eimer durch den Raum, dessen Metallgriff in seiner Halterung klapperte. Die Frau war stämmig, dunkelhaarig, etwa vierzig Jahre alt. Sie blickte weder nach links noch nach rechts, als sie an den wartenden Menschen vorbeiging. Bevor sie die gegenüberliegende Tür erreichte, bekam sie einen Schluckauf. Sie war in ihrer eigenen Welt gefangen, erschöpft von harter, körperlicher Arbeit, von schwerem Heben, Bücken und Schrubben. Die schönste Zeit des Tages waren wahrscheinlich die Stunden, in denen gegessen – und vor allem getrunken – wurde. Dann konnte sie mit den anderen Frauen lachen und die durch den Alkohol hervorgerufene kurze Euphorie ließ sie für eine Weile die Realität vergessen.
Es war sechs Uhr, bevor der letzte Patient aus dem Sprechzimmer kam. Hester war es gelungen, den Arzt zu überreden, Harry Jackson für ein paar Tage im Hospital aufzunehmen, und sie kostete diesen kleinen Sieg aus. Daher lächelte sie, als sie sich daran machte, das Wartezimmer aufzuräumen.
Kurz darauf wurde die Tür geöffnet, und sie freute sich, Callandra zu sehen, die in diesem Augenblick noch unordentlicher aussah als gewöhnlich. Ihr Rock war zerknittert, und die Bluse stand wegen der Hitze am Hals offen. Sie hatte offensichtlich gearbeitet, denn ihre Ärmel waren hochgekrempelt und voller Wasser und Blut. Das Haar hatte sich aus den Nadeln gelöst und stand ihr wirr vorn Kopf ab.
Sie schloss die Tür und sah sich hastig um, um sich davon zu überzeugen, dass sie allein im Raum waren.
»Er ist weg«, beruhigte Hester sie.
Callandra strich sich mit dem Handrücken über die Stirn.
»Heute sind wieder Medikamente verschwunden«, sagte sie müde. »Ich habe am Morgen die Vorräte überprüft und gerade eben wieder. Es ist nicht viel, aber es fehlt etwas, da bin ich mir ganz
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