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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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diesmal zum Polizeirevier von Hampstead. Wäre er selbst noch Polizist gewesen, hätte er Unterstützung anfordern können. So aber musste er um jede Gefälligkeit bitten, was ihn bisweilen große Überwindung kostete. Vielleicht hatte er selbst seine Autorität nicht immer richtig eingesetzt. Das war eine Schlussfolgerung, die sich ihm nach dem Verlust seines Gedächtnisses aufgedrängt hatte; denn es war eine unerfreuliche Erfahrung gewesen festzustellen, wie viele Menschen ihn fürchteten.
    War er in der Vergangenheit auch einmal in diese Polizeistation gekommen und erinnerte man sich seiner möglicherweise mit Groll? Dieser Gedanke ließ ihn seinen Schritt verlangsamen, als er um die nächste Straßenecke bog und die letzten hundert Meter bis zum Revier zurücklegte.
    Er holte tief Atem und ging dann die Treppe hinauf und durch die Tür.
    Der diensthabende Sergeant blickte auf, dankbar, dass jemand ihn bei seiner Vormittagsarbeit störte. Er hasste es, Aktennotizen zu schreiben.
    »Guten Morgen, Sir. Wunderbarer Tag heute, nicht? Was kann ich für Sie tun?«
    »Guten Morgen, Sergeant«, erwiderte Monk und suchte in dem freundlichen Gesicht des Mannes nach einem Zeichen des Wiedererkennens, aber dieses blieb aus. »Ich komme im Auftrag eines Freundes, der noch sehr jung ist und im Augenblick zu bekümmert, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen.«
    »Das tut mir Leid, Sir. Worum handelt es sich denn, bitte? Raub, nehme ich an?«, erkundigte sich der Sergeant hilfsbereit und beugte sich ein wenig über die Absperrung.
    »Ja«, pflichtete Monk ihm mit einem leichten Achselzucken bei. »Aber nicht so, wie Sie es vielleicht erwarten. Es steckt noch mehr dahinter – ein Geheimnis, sozusagen.« Er senkte die Stimme. »Und ich fürchte, möglicherweise auch eine Tragödie, obwohl ich hoffe, dass ich mich in dem Punkt irre.«
    Das Interesse des Sergeants war geweckt. »O ja, Sir. Was genau wurde denn gestohlen?«
    »Eine Kutsche und zwei Pferde«, antwortete Monk. »Ein gutes Paar Kutschpferde, ein Fuchs und ein Brauner, die, was Größe und Gangart betrifft, sehr gut zusammenpassen. Und auch die Kutsche ist erstklassig.«
    Der Sergeant schien verwirrt zu sein. »Sind Sie sicher, dass es sich um einen Diebstahl handelt, Sir? Dass nicht vielleicht ein Familienmitglied ein wenig verantwortungslos gehandelt hat und einfach damit weggefahren ist? Junge Männer beteiligen sich häufig an Rennen, Sir, so schlimm das ist – und gefährlich obendrein.«
    »Ganz recht«, nickte Monk. »Aber leider hat sich der Vorfall bereits vor fünf Tagen ereignet, und die Kutsche ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Und auch der Kutscher, der sie genommen hat, ist nicht zurückgekehrt, ebenso wenig wie die junge Dame, die mit meinem Freund verlobt ist. Natürlich befürchten wir, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte, sonst hätte sie sich gewiss bei einem Mitglied der Familie gemeldet.«
    Der Sergeant verzog besorgt das Gesicht. »Ach herrje. Das klingt nicht gut, Sir.«
    Monk fragte sich, ob der Sergeant glaubte, dass Miriam mit Treadwell auf und davon gegangen war. Ausschließen konnte man diese Möglichkeit nicht. Monk hätte sich diesbezüglich eine andere Meinung bilden können, hätte er einen der beiden Beteiligten gekannt, aber nach dem, was die Dienstboten der Stourbridges ihm von Treadwell erzählt hatten, schien er nicht der Mann zu sein, der eine sanftmütige Witwe in seinen Bann ziehen konnte. Noch dazu, wenn diese Witwe Aussicht hatte, in eine hoch angesehene Familie einzuheiraten und ihrem Bräutigam allem Anschein nach in Liebe zugetan war.
    »Nein, ich gebe Ihnen Recht, es klingt nicht gut«, sagte er laut. »Ich habe den Weg der Kutsche bis Hampstead Heath verfolgt, aber dann jede Spur verloren. Wenn das Gefährt irgendwo in der Gegend gesehen wurde, würde es mir sehr helfen, das zu erfahren.«
    »Natürlich«, stimmte der Sergeant ihm nickend zu. »Wir haben ein gutes Krankenhaus hier in der Nähe. Vielleicht wurde sie plötzlich krank. Die Leute dort hätten sie gewiss aufgenommen. Eine sehr wohltätige Einrichtung, dieses Krankenhaus. Oder vielleicht hatte sie einen plötzlichen Nervenzusammenbruch, wie das bei jungen Frauen manchmal vorkommt.«
    »Ich werde auf jeden Fall im Krankenhaus nachfragen«, erwiderte Monk, obwohl der Sergeant von dem Krankenhaus sprechen musste, in dem Hester arbeitete. Und Monk hatte sie bereits gefragt, ob sie eine junge Frau, auf die diese Beschreibung passte, gesehen hatte oder

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