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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Patienten.
    Hester verließ den Raum. Sie war jetzt gerade in der richtigen Stimmung, dafür zu sorgen, dass den moralischen Anforderungen Genüge getan wurde und jede Krankenschwester sauber, ordentlich, pünktlich und nüchtern war.
    Als sie durch den Korridor ging, lief eine Krankenschwester an ihr vorbei, die wohl gerade erst zum Dienst erschienen war; sie trug noch immer ihren Umhang.
    »Sie kommen zu spät!«, sagte Hester streng. »Ich möchte nicht, dass das noch einmal vorkommt!«
    Die Frau zuckte zusammen. »Nein, Ma’am«, erwiderte sie gehorsam und hastete mit gesenktem Kopf weiter. Noch im Laufen nahm sie den Umhang ab.
    Direkt vor der Krankenhausapotheke stieß Hester auf einen jungen Medizinstudenten, der unrasiert war und dessen Jacke weit offen stand.
    »Ihr Aussehen lässt zu wünschen übrig, Sir!«, sagte sie mit der gleichen Schärfe. »Wie sollen Ihre Patienten Vertrauen zu Ihnen haben, wenn Sie aussehen, als hätten Sie in Ihren Kleidern geschlafen? Wenn Sie ein Herr sein wollen, sollten Sie auch so aussehen wie einer!«
    Er war so verblüfft, dass es ihm die Sprache verschlug, und er nur reglos dastand, während sie an ihm vorbei in die Warteräume der Chirurgen trat.
    Den Rest des Vormittags verwandte sie darauf, die wartenden Patienten zu trösten und ihnen Mut zuzusprechen. Sie hatte Florence Nightingales Bemerkung nicht vergessen, dass der seelische Schmerz eines Patienten dem körperlichen gleichzusetzen sei und dass eine gute Krankenschwester Zweifel zerstreuen und Hoffnung wecken solle.
    Gegen Mittag setzte sie sich an einen der Tische im Speisesaal für das Personal, dankbar für eine Stunde Ruhe. Fünfzehn Minuten später gesellte Callandra sich zu ihr. Ausnahmsweise war ihr Haar ordentlich hochgesteckt, und ihr Rock passte genau zu der gut sitzenden Jacke. Einzig ihre Miene verdarb den erfreulichen Anblick. Sie sah zutiefst unglücklich aus.
    »Was ist passiert?«, fragte Hester, als Callandra es sich auf dem harten Stuhl bequem gemacht hatte.
    »Es sind weitere Medikamente verschwunden«, flüsterte Callandra so leise, dass sie kaum zu verstehen war. »Es gibt keinen Zweifel mehr. Es ist eine grässliche Vorstellung, dass jemand vorsätzlich solche Mengen an Medikamenten stiehlt, aber eine andere Erklärung gibt es nicht.« Sie verzog das Gesicht, und die Lippen waren nur noch eine schmale Linie.
    »Stellen Sie sich nur vor, was Thorpe daraus machen wird, ganz abgesehen von allem anderen!«
    »Ich hatte heute Morgen bereits eine Unterredung mit ihm«, erwiderte Hester, die ihrem Teller mit dem kalten Hammelfleisch und den frischen Kartoffeln keine Beachtung schenkte. »Er zitierte Mr. South. Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit, ihm zu antworten. Jetzt würde ich ihn gern fragen, ob er nicht besondere Maßnahmen für die Männer treffen könnte, die in der Vergangenheit für uns gekämpft haben und die jetzt alt und krank sind.«
    Callandra runzelte die Stirn. »An was für eine Art von Maßnahmen haben Sie denn gedacht?«
    »Das weiß ich selbst noch nicht so genau.« Hester schnitt eine Grimasse. »Ich nehme an, dies ist nicht der geeignete Augenblick, um vorzuschlagen, dass wir ihnen Medikamente und Verbandszeug aus dem Etat des Krankenhauses zur Verfügung stellen?«
    »Aber das tun wir doch ohnehin«, sagte Callandra mit einiger Überraschung.
    »Nur wenn sie hierher kommen«, bemerkte Hester. »Einige von ihnen können aber nicht jeden Tag den weiten Weg machen. Sie sind zu alt oder zu krank, oder sie sind lahm und können deshalb keinen Omnibus benutzen. Und ein Hansom kostet einfach zu viel, selbst wenn es ihnen möglich wäre, einen zu besteigen.«
    »Wer sollte ihnen denn zu Hause die Medizin verabreichen?«, fragte Callandra neugierig. Langsam begann sie zu begreifen.
    »Wir«, antwortete Hester. »Es wäre nicht einmal ein Arzt dafür notwendig, nur eine Krankenschwester mit Erfahrung und Selbstvertrauen – jemand mit einer Ausbildung.«
    »Und jemand, dem man vertrauen kann«, fügte Callandra viel sagend hinzu.
    Hester seufzte. Das Damoklesschwert der gestohlenen Medikamente schwebte über ihren Köpfen. Sie konnten die Sache nicht mehr lange vor Fermin Thorpe geheim halten.
    »Da beißt die Katze sich in den Schwanz, nicht wahr?«, fragte sie mit einem Anflug von Verzweiflung. »So lange wir keine ausgebildeten Frauen haben, die pflichtbewusst ihre Arbeit verrichten und mit Respekt behandelt und entsprechend entlohnt werden, so lange können wir nicht verhindern,

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