In feinen Kreisen
geraten und glaubte nun, es sei alles verloren? Das wäre durchaus möglich.
Monk konnte die anderen möglichen Opfer nicht allein ermitteln, falls Treadwell tatsächlich ein Erpresser gewesen war. Dazu brauchte man die zahlenmäßige Überlegenheit der Polizei sowie deren Autorität.
Als er Robbs Haus erreichte, klopfte er an die Tür. Es vergingen einige Sekunden, bis Robb selbst öffnete. Er wirkte müde und gehetzt und obwohl er Monk höflich begrüßte, nahm seine Anspannung noch zu.
»Was gibt es? Fassen Sie sich bitte kurz. Ich bin ohnehin spät dran, und ich muss meinem Großvater noch das Frühstück machen.«
Monk hätte gern Hilfe angeboten, aber er verfügte über keinerlei Fähigkeiten, die in diesem Fall von Nutzen gewesen wären. Er war sich seines Unvermögens deutlich bewusst.
»Ich habe einige Dinge über James Treadwell in Erfahrung gebracht, und ich dachte, Sie möchten sie vielleicht gern hören. Ich könnte sie Ihnen mitteilen, während Sie das Frühstück zubereiten«, bot Monk an.
Robb akzeptierte den Vorschlag widerstrebend.
Monk entschuldigte sich bei dem alten Mann für sein Eindringen, dann setzte er sich und berichtete, was er während der vergangenen zwei Tage herausgefunden hatte. Während Michael das Brot strich, den Tee aufbrühte und seinem Großvater beim Essen half, wanderte Monks Blick über den Raum. Er bemerkte die offen stehende Schranktür und den kleinen Vorrat an Medikamenten. Außerdem lagen in einer Schale auf dem Tisch neben dem Spülstein mehrere Eier, und auf dem Boden stand eine Flasche Sherry. Michael versorgte seinen Großvater sehr gut. Es musste ihn jeden Penny seines kargen Polizeilohns kosten.
Michael nahm den Teller und die Tasse und spülte sie, mit dem Rücken zum Raum, in einer Schüssel ab.
Der alte Mann sah Monk an. »Eine wunderbare Frau, Ihre Gattin. Sie gibt einem nie das Gefühl, lästig zu sein. Kommt hierher und hört sich meine alten Geschichten an, und ihre Augen leuchten wie Sterne. Ich hab die Tränen über ihre Wangen laufen sehen, als ich ihr vom Tod des Admirals erzählt habe und wie wir nach Trafalgar mit den Flaggen auf halbmast nach England zurückkamen.«
»Sie hat es genossen, Ihnen zuzuhören«, erwiderte Monk aufrichtig.
»Sie hat ja selbst so manche Schlacht miterlebt«, sagte der alte Mann nun mit einem Lächeln. »Sie hat mir davon erzählt. Ganz ruhig und gefasst war sie dabei, aber ich konnte in ihren Augen sehen, was sie wirklich empfunden hat. So etwas kann man nämlich sehen. Menschen, die den Krieg ganz nah miterlebt haben, reden nicht viel darüber. Nur manchmal müssen sie es tun, und ich konnte sehen, dass es bei ihr so war.«
Stimmte das? Hester hatte selbst heute noch das Bedürfnis, über ihre Erfahrungen auf der Krim zu sprechen. Sie teilte diese Dinge mit einem alten Mann, den sie kaum kannte, statt mit ihm oder mit Callandra. Aber andererseits hatten sie beide den Krieg nicht miterlebt. Sie konnten nicht verstehen, was dieser Mann ohne weiteres begriff.
»Dann war sie wohl mehrmals hier«, sagte er laut.
Der alte Mann nickte. »Sie kommt jeden Tag vorbei, vielleicht nur für eine halbe Stunde oder so, um nach mir zu sehen. Nicht viele Menschen interessieren sich für Alte und Kranke außerhalb ihrer eigenen Familie.«
»Nein«, pflichtete Monk ihm mit einem seltsam beklommenen Gefühl bei. »Hat sie Sie nach anderen Matrosen und Soldaten gefragt?«
»Sie meinen, nach alten Männern wie mir? Ja, das hat sie. Hat sie es Ihnen nicht erzählt?«
»Ich fürchte, ich habe nicht so genau hingehört, wie ich es vielleicht hätte tun sollen.«
Robb lächelte und nickte. Auch er hatte so mancher Frau nicht richtig zugehört. Er verstand.
»Natürlich interessiert sie das alles«, fuhr Monk fort und hasste sich gleichzeitig für den Gedanken an möglicherweise verschwundene Medikamente und Erpressung, die er im Hinterkopf hatte und die er nicht ignorieren konnte. »Sie ist eine gute Krankenschwester. Das Wohl ihrer Patienten geht über ihr eigenes Wohl, wie bei einem guten Soldaten – die Pflicht kommt als Erstes.«
»Das ist richtig«, nickte der alte Mann, und seine Augen strahlten. »Sie ist eine wirklich gute Frau. Ich habe einige gute Krankenschwestern in meinem Leben kennen gelernt. Sie kommen ab und zu bei einem vorbei, um zu sehen, wie’s geht.«
»Und diese Schwestern – bringen sie auch Medikamente mit?«
»Natürlich«, pflichtete Robb ihm bei. »Ich kann mir ja nicht selbst welche holen und der
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