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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hätte er vielleicht jemanden erpresst…«
    Er konnte die Barriere zwischen ihnen nicht länger ertragen. Er durchbrach sie unvermittelt mit einer Frage, wohl wissend, dass die Antwort ihn vielleicht schmerzen würde. »Was ist los, Hester?«
    »Was soll los sein?«, wich sie ihm ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit aus.
    War es eine Warnung oder lediglich Selbstschutz?
    Er sah ihr in die Augen und versuchte den Ausdruck darin zu deuten, entdeckte aber nur Angst.
    »Du bist in der Vergangenheit«, begann er, »unvernünftig gewesen, übereifrig, selbstherrlich, prüde – und auch kritisch –, aber du hast nie taktiert, auch wenn es bisweilen vielleicht klüger gewesen wäre. Und vor allem, du hast nie gelogen.«
    Sie errötete, hielt aber seinem Blick stand. »Ich weiß nicht , wen er erpresst oder ob er überhaupt etwas Derartiges getan hat, aber ich fürchte, ich habe so eine Ahnung. Es ist etwas, das ich bei meiner Arbeit, bei der Versorgung der Kranken, erfahren habe, daher kann ich es dir nicht sagen. Es tut mir Leid.« Ihre Miene drückte tatsächlich Bedauern aus, und er wusste auch, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde.
    »Hester – weißt du etwas über ein Verbrechen, das begangen wurde?«
    »Kein Verbrechen in moralischer Hinsicht«, antwortete sie sofort. »Es ist nichts geschehen, das einem Christenmenschen zuwider sein müsste.«
    »Höchstens einem Polizisten«, ergänzte er ohne zu zögern. Ihre Augen weiteten sich. »Bist du denn ein Polizist?«
    »Nein…«
    »Dachte ich mir doch. Nicht dass es einen Unterschied machen würde. Es wäre nicht richtig, dir davon zu erzählen, selbst wenn du bei der Polizei wärst. Ich kann es nicht.«
    Er schwieg. Es war zum Verzweifeln. Sie hielt vielleicht das fehlende Mosaiksteinchen in Händen, das dem Ganzen einen Sinn geben könnte. Sie wusste es, und doch wollte sie es ihm nicht sagen. Sie hatte ihre Grundsätze und stellte diese noch über ihre Liebe zu ihm. Aber es tat nicht wirklich weh, denn er war sich ganz sicher, dass er es nicht anders hätte haben wollen.
    »William?«
    »Ja?«
    »Weißt du am Ende doch etwas?«
    »Nein. Warum fragst du?«
    »Du lächelst.«
    »Oh!« Er war überrascht. »Tu ich das? Nein, ich weiß nichts. Ich nehme an, ich bin einfach nur… glücklich…« Er beugte sich vor und zu ihrer größten Überraschung küsste er sie leidenschaftlich.
    Der nächste Tag war der zehnte Tag, seit Monk den Auftrag, Lucius Stourbridges Verlobte zu suchen, übernommen hatte. Jetzt saß sie unter Mordanklage im Gefängnis, und Monk wusste kaum mehr über den Tag ihrer Flucht als am Anfang. Er konnte sich weniger denn je vorstellen, was der Auslöser dieser Flucht gewesen sein mochte, außer jemand hätte mit Enthüllungen bezüglich ihrer Vergangenheit gedroht, Enthüllungen, von denen sie befürchtete, sie würden entweder sie selbst ruinieren oder jemanden, den sie liebte. Aber sie schwieg, trotz der Verhaftung, dem nachfolgenden Gerichtsverfahren und der möglicherweise drohenden Hinrichtung.
    Welches Geheimnis konnte so schrecklich sein?
    Ihm fiel keine Antwort auf die Frage ein, während er mit einem Hansom zum Polizeirevier von Hampstead fuhr.
    Er erreichte sein Ziel kurz vor neun, nur um zu erfahren, dass Sergeant Robb am vergangenen Abend bis Einbruch der Dunkelheit gearbeitet hatte und deshalb noch nicht wieder erschienen war. Monk bedankte sich bei dem diensthabenden Sergeant und machte sich auf den Weg zu Robbs Haus. Die Sonne schien, und er schritt zügig aus, denn er hatte keine Zeit zu verlieren.
    Es gab nur wenig, was er Robb mitteilen wollte, – nur dass er Treadwells extravagante und teure Vorlieben entdeckt hatte. Er hatte mit sich gerungen, ob er das Thema anschneiden sollte oder nicht. Es gab Miriam ein starkes Motiv, wenn sie erpresst wurde. Aber ein Mann, der einen Menschen erpresste, tat dies vielleicht noch mit anderen, sodass es weitere Verdächtige geben würde. Vielleicht hatte einer dieser Verdächtigen ihm aufgelauert, und Miriam war vom Tatort geflohen, nicht weil sie schuldig war, sondern weil sie ihre Unschuld nicht beweisen konnte.
    Es war ein schwacher Hoffnungsschimmer. Was, wenn es irgendwo ein uneheliches Kind gab, ein Kind von Miriam und Treadwell? Oder wenn Treadwell auch nur gewusst hätte, dass es ein solches Kind von einem anderen Mann gab? Das hätte genügt, um ihre Heirat mit Lucius Stourbridge zu verhindern.
    Aber war irgendeine Erpressung den Tod wert?
    Oder war sie lediglich in Panik

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