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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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tatsächlich hierher oder könnte hierher passen – ein Teil von ihm reagierte auf die beinahe unschuldige Wildheit all dessen, die Freiheit, die Absage an alle Schuld und Schuldfähigkeit …
    Sie drehte sich um und küsste ihn, und er legte ihr den freien Arm um die Taille, und plötzlich begehrte er sie schrecklich, wollte den Verlust von Identität, den sie ihm geben konnte; binnen Sekunden lagen sie im warmen Sand, und sie zog ihr Kleid hoch, und er war über ihr und keuchte fiebrig …
    Und ein naher Pistolenschuss machte ihn taub und erhellte für einen Moment Anns angestrengtes Gesicht, und einen Augenblick später krachte ein Pistolenknauf auf seinen Hinterkopf. Er traf jedoch den geteerten Stumpf seines abgehackten Pferdeschwanzes, und statt ihn bewusstlos zu schlagen, brachte der Schlag ihn lediglich in Wut. Er rollte sich von Ann herunter in Richtung Meer und rappelte sich hoch.
    Ann lag noch immer auf dem Rücken; eine Pockennarbe im Sand nahebei zeigte, wo die Pistolenkugel eingeschlagen war. Ann war nicht verletzt, aber sie wimmerte ungeduldig und zuckte mit den Hüften und nagte an dem zerlumpten Saum ihres Kleides. Shandy wollte töten, wer immer es war, der sie gestört hatte, und dann wollte er sich wieder ihr widmen.
    Jim Bonny stand von ihm aus hinter Ann, warf die leergeschossene Pistole fort und hob eine Hand; Shandy spürte die plötzliche Hitze in der Luft um sich herum und hob die Rechte in einer schnellen Kontergebärde, dann biss er sich auf die Zunge, um Blut in den Mund zu bekommen, und spuckte in Bonnys Richtung, um der Erwiderung mehr Macht zu verleihen.
    Bonnys Haar begann zu schwelen und zu qualmen, aber er packte eine Kugel aus geflochtenem Fell an seinem Gürtel, und die Hitze zerstreute sich. » Mate Care-for gibt auf mich acht, du Bastard«, flüsterte Bonny. » Er und ich werden dafür sorgen, dass du nicht mehr in der Lage sein wirst, anderen ihre Frauen zu stehlen.«
    Zu ungeduldig und atemlos, um Angst zu haben, schnippte Shandy mit den Fingern und deutete mit zwei Fingern auf Bonny; aber Bonnys Hand war noch auf dem Fellball, und der Angriff prallte zurück, schlug Shandy zu Boden und krümmte ihn in schrecklichen Krämpfen. Bonny ergriff die Gelegenheit, um seiner Frau gegen die Schulter zu treten und an Shandy gewandt einen schnellen Reim zu sprechen.
    Blut schoss Shandy aus Ohren und Nase, und sein Verstand sagte ihm, dass er hier hoffnungslos unterlegen war und versuchen sollte zu fliehen oder um Hilfe zu schreien; aber er wollte Ann – wollte sie nehmen, Bonnys Blut noch heiß auf seinen Händen …
    Aber da Bonny unter dem Schutz von Mate Care-for stand, schien er nicht viel ausrichten zu können. Er zog sich auf die Knie und versuchte Bonny mit Blindheit zu schlagen, doch trotz seiner besten Parade wirkte auch der Rückprall dieses Angriffs auf ihn zurück, und während Shandy blind war, sandte Bonny ihm einen Krampfanfall.
    Shandy brach zusammen, er zitterte und zappelte hilflos auf dem Sand wie ein vom Veitstanz Befallener, und er hörte, wie Bonny seine Frau abermals trat und dann über sie hinwegstieg, um sich ihn vorzuknöpfen.
    Shandy wusste, dass es jetzt zu spät war, um wegzulaufen oder um Hilfe zu rufen – er würde sterben, hier und jetzt, wenn ihm nicht etwas einfiel. Und was noch unvorstellbarer als der Gedanke an Tod war, Jim Bonny würde derjenige sein, der zwischen Anns Schenkeln knien würde, und an diesem Punkt würde sie den Unterschied wahrscheinlich gar nicht bemerken oder sich nicht darum scheren.
    Ohne auf den Schmerz eines verstauchten Fingers zu achten, schob er seine zuckende rechte Hand in die Hosentasche; darin war noch immer die Erde, die er an der Küste Floridas von seinem Stiefel gekratzt hatte, und er rollte sie zwischen Daumen und Zeigefinger zu einem Klumpen. Dann riss er die Hand hoch und warf das Bröckchen Dreck gen Himmel.
    Und als Nächstes saß er in einem Boot, fuhr unter einer Brücke hindurch, die mit bunten Laternen behängt war, und statt Knoblauch und Wein schmeckte er Erdbeeren. Er erinnerte sich – dies war Paris, er war vielleicht neun Jahre alt gewesen, als sein Vater, nachdem er etwas Geld verdient hatte, ihn zu einem guten Abendessen und anschließend zu einer Bootsfahrt auf der Seine mitgenommen hatte. Die Gestalt neben ihm drehte sich zu ihm um, aber diesmal war es nicht sein Vater.
    Es schien ein uralter schwarzer Mann zu sein, das Haar und der kurze Bart weiß und kraus gelockt wie bei einer

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