In fremderen Gezeiten
er hatte ein Messer und eine Leine dabei. Während das Boot wieder in ein Wellental hinabfuhr, schafften sie es zusammen, entlang der Vorderkante ein paar Löcher in den Rest des zerrissenen Segels zu stechen. Sie hielten inne, während die Jenny vom Wasser des nächsten Brechers überflutet wurde, und als es wieder abgelaufen war, zog Shandy die Leine durch die Löcher. Kurz bevor sie wieder auf einem Wellenkamm waren, warf Shandy das Ende der Leine hoch in Richtung Backbordbug – der Sturm schleuderte sie auf der anderen Seite des Mastes zu Skank zurück, der sie auffing, dann fiel und nach Backbord bis ans Schanzkleid rutschte, wo es ihm gelang, die Leine zwei Mal um einen Belegnagel zu schlingen, bevor die volle Gewalt des Sturms sie wieder traf.
Die wenigen Quadratfuß Segelfläche reichten aus, um dem Boot einen Stoß nach hinten zu geben, sodass sie weiter beiliegen konnten. Einige weitere Männer waren herangekrochen gekommen, um zu helfen, und Shandy überließ ihnen gern seinen Platz und zog sich zur Reling zurück. Ihm war flau im Magen, entweder von der Anspannung oder er musste etwas Verdorbenes gegessen haben. Er hoffte, dass er für ein Weilchen keine anstrengende Arbeit mehr zu tun bekommen würde.
Auf einmal wurde er sich eines Gewichtes an seiner Jacke bewusst, das den hinteren Teil seines Kragens fester um seinen Hals zog, und er schaute hinab – und wich dann von der Reling zurück, denn vorn an seiner Jacke hatten sich zwei knollenförmige graue Aale im Stoff verbissen; erst als er einen packte, um ihn abzureißen, wurde ihm klar, dass es sich um zwei halbverweste menschliche Arme handelte, abgetrennt an den Ellbogen, mit Fingern, die sich in den Stoff seiner Jacke krallten.
Diese Feststellung war ebenso entsetzlich wie merkwürdig. Dann fiel ihm ein, dass dies dieselbe Jacke war, die er getragen hatte, als Hurwood Leo Friend die Carmichael abgenommen hatte – und als sich einer der Untoten aus Friends Mannschaft an die Jacke geklammert hatte, um nicht über Bord zu gehen. Er war dann doch ins Wasser gefallen; seine Ellenbogengelenke hatten seinem Gewicht nicht standgehalten und waren auseinandergegangen. Die klammernden Arme waren kurz darauf verschwunden, aber sie mussten seither wohl auf geisterhafte Weise an seiner Jacke gehangen haben – wie Spinnweben, die man nur in einem bestimmten Licht sah.
Die sich verstärkenden Krämpfe in seinem Magen warfen ihn rückwärts gegen die Reling, aber er zwang sich zur Konzentration auf seinen Gedankengang. Wie, fragte er sich, musste das Licht beschaffen sein, das diese schauerlichen Dinge wieder sichtbar machte? Nun, offensichtlich gab es hier auf See frei entfesselte, feindselige Magie. Man hätte es am Geruch nach heißem Eisen erkannt, wäre der Wind nicht gewesen. Seine Magenkrämpfe waren ein Geschenk von irgendjemandem.
Seewasser schwappte über ihn hinweg, als die Jenny eine weitere Welle nahm, dann zwang er sich gegen alle Instinkte seines Körpers auf – kalter Schweiß auf seinem Gesicht ließ die Gischt noch wärmer erscheinen –, streckte die Hand aus, packte den nächsten Mann und zog ihn nahe genug heran, um zu schreien. » Wo«, brüllte Shandy, » ist Venner?«
Der Mann glotzte auf die beiden grauen Unterarme, die von der Jacke seines Kapitäns herabbaumelten, aber er zeigte nach vorn und dann nach unten.
Shandy nickte und ließ ihn los, dann hangelte er sich, immer einen gequälten Schritt nach dem anderen, auf die Luke zu und hielt sich an allem fest, was er erreichen konnte; eine Bö auf dem Kamm einer Welle riss ihn von den Füßen, und er kroch das letzte Stück flach auf dem Bauch, wobei die zusätzlichen Arme ihm ein insektenähnliches Aussehen verliehen. Mit einer Anstrengung, die all seine Bauchmuskeln in Flammen zu setzen schien, hob er die Luke über dem Niedergang, rollte sich hinein und gelangte nach unten, indem er halb kletterte und halb in den Frachtraum mit der niedrigen Decke hineinrollte.
Es war dunkel. Da er aber wusste, wo der Waffenschrank war, ließ er sich einfach mit dem nächsten Überlegen des Schiffes hinüberrollen, packte einen Griff unter vielen und zog ein Schwert heraus; es war leichter als ein Entermesser, aber es schien die richtige Länge zu haben, und er konnte die Hand bequem um den Griff schließen. Aus dem Vorschiff kam ein fahler roter Schein und mit seinem schauerlichen Reversschmuck humpelte Shandy darauf zu.
Venner hockte über einem kleinen Kohlebecken, flüsterte und warf
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