In fremderen Gezeiten
Bord der Carmichael gegangen, kurz nachdem das Schiff mühsam und teils mit Hilfe von Taljen an Land geschleppt und gezogen worden war und lange bevor die Piraten mit der mühsamen Arbeit begonnen hatten, es kielzuholen. Hurwood hatte das erste Boot angerufen, das längsseits gekommen war, und verlangt, dass die Männer darin sie an Land brachten. Sie hatten ihm nicht nur gehorcht, sondern ihn auch, so war es Chandagnac erschienen, erkannt.
Und jetzt lag die Carmichael dicht am Strand auf der Seite, in dieser Lage gehalten durch schwere, im Sand eingegrabene Anker und mittels großer Taljen, die an den Tops der Untermasten ansetzten und gleichzeitig an schweren Seilen, die von der jetzt untergetauchten Schiffsseite unter dem Kiel entlang zu den Untermasttops geführt waren. Auf ihrer ganzen Länge von einhundert Fuß ragten der Kiel und eine Seite des Rumpfes am Rand eines ausreichend tiefen Wasserarms hundert Schritt südlich der Siedlung aus dem Wasser, sodass die Überholung des Unterwasserschiffs in Angriff genommen werden konnte. Chandagnac stapfte in der Gesellschaft der Piraten den Strand entlang. Er taumelte vor Erschöpfung, denn die Piraten hatten beschlossen, dass er als neues Mitglie d der M annschaft die Arbeit von zwei Männern tun sollte.
» Ah, verdammt«, bemerkte der zahnlose junge Mann, der neben Chandagnac einherstolperte. » Ich rieche frisches Futter.« Chandagnac hatte mitbekommen, dass der junge Mann Skank hieß.
Hinter ihnen ächzte das Schiff in allen Fugen, als seine Spanten und Planken sich der neuen Belastung anpassten, und aus dem dunklen Dschungel krähten und schrien Vögel – Chandagnac vermutete, dass es Vögel sein mussten.
» Frisch ist das richtige Wort.« Chandagnac nickte, denn angesichts der Flammen, der Gerüche und der lauten Rufe vor ihnen schien ihm das Essen, das dort zubereitet wurde, nicht nur frisch, sondern vielleicht sogar noch lebendig zu sein.
Links von Chandagnac kam über Palmenwedeln eine halbrunde, felsige Erhebung in Sicht. » Die Festung«, sagte sein zahnloser Begleiter.
» Festung?« Chandagnac kniff die Augen zusammen und bemerkte schließlich Mauern und einen Turm, alles aus dem gleichen Stein wie der Hügel selbst. Sogar von unten am Strand konnte er mehrere gezackte Lücken in der unebenen Linie der Mauer sehen. » Ihr habt hier eine Festung gebaut?«
» Nein, das waren die Spanier. Oder vielleicht die Engländer. Sie haben beide abwechselnd jahrelang diesen Ort für sich beansprucht, aber als Jennings diesen Hafen entdeckte und beschloss, hier seine Piratenstadt zu gründen, lebte auf der ganzen Insel nur ein einziger Mann, ein altes Wrack ohne jeden Verstand. Die Engländer glauben, dass die Insel jetzt ihnen gehört. König Georg hat sogar einen Mann hergeschickt mit einer Begnadigung für jeden von uns, der vom Verbrechen ablässt und sich … was weiß ich, der Landwirtschaft oder dergleichen widmet. Aber wer weiß, ob er sich das nicht wieder anders überlegt.«
Sie hatten inzwischen die Kochfeuer erreicht und schlängelten sich zwischen Gruppen von Menschen hindurch, die im Sand saßen. Viele davon hatten sich Fassdauben oder Spieren als Lehnen in den Sand gesteckt, und sie alle grüßten die Neuankömmlinge, winkten ihnen mit Flaschen und Stücken gerösteten Fleisches zu. Chandagnac ließ den Blick nervös über die von den Feuern beschienenen Gesichter schweifen und stellte überrascht fest, dass etwa jedes dritte das einer Frau war.
» Die Jenny liegt dort drüben«, sagte Skank und gestikulierte dazu wenig hilfreich. » Sie werden inzwischen ein Feuer entfacht haben und sich mit etwas Glück genug für einen Eintopf zusammengeschnorrt haben.«
Es kam Chandagnac nach der langen Seereise immer noch so vor, als schwanke der feste Boden unter seinen Stiefeln, und als er über eine kleine Anhäufung von Sand trat, taumelte er, als müsse er auf einem schlingernden Deck das Gleichgewicht wahren; er schaffte es, nicht zu fallen, aber dabei schlug er einer Frau ein Hühnerbein aus der Hand.
Mein Gott, dachte er mit plötzlicher Furcht. » Es tut mir leid«, brach es aus ihm hervor, » ich …«
Aber sie lachte nur betrunken, schnappte sich ein anderes Stück Huhn von einem Teller, der anscheinend aus echtem Gold war, und murmelte etwas in einer vernuschelten Mischung aus Französisch und Italienisch. Chandagnac war sich ziemlich sicher, dass es eine halbwegs sarkastische sexuelle Einladung war, aber der Dialekt war zu unvertraut und die
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