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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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so viel einfacher hier, als es ihm daheim in der östlichen Hemisphäre erschienen war –, und dann wandte er sich zu Elizabeth Hurwood um. » Wir können jetzt in die Festung zurückkehren«, erklärte er ihr.
    Sie starrte ihn an. » Das ist alles? Ihr seid hier heruntergerannt, so schnell, dass ich dachte, Euer Herz würde bersten, nur um zuzusehen, wie dieser Mann sich übergibt und niedergeschlagen wird?«
    » Ich wollte sicherstellen, dass tatsächlich nicht mehr als das geschah«, erwiderte Friend geduldig. » Jetzt kommt.«
    » Nein«, entgegnete sie. » Da wir schon einmal hier sind, werde ich schauen, wie es John geht.«
    Friend drehte sich zornig zu ihr um, dann riss er sich zusammen. Er grinste und zog die Augenbrauen hoch. » Dem Kielkratzer und Chefkoch der Seeräuber? Ich glaube, er ist hier«, fügte er geziert hinzu, » es sei denn, was ich rieche, ist ein nasser Hund.«
    » Geht zurück zum Fort«, sagte sie erschöpft.
    » Damit Ihr … ungestört mit ihm zusammen sein könnt, nehme ich an?«, stotterte Friend mit schriller Stimme. Er wünschte, er könnte über sexuelle Dinge sprechen, ohne dabei zu stottern. » Ver-ver-verbannen Sie diesen Gedanken, meine El-el-el-elizabeth. Euer Vater hat mich gebeten, Euch nicht aus den Augen zu lassen.« Er nickte tugendhaft.
    » Dann tut, was Ihr wollt, Ihr verfluchter Schuft«, sagte sie leise, und mit einem Aufblitzen untypischen und unwillkommenen Scharfblicks begriff Friend, dass sie das Wort » verflucht« nicht nur zur Verstärkung der Aussage benutzt hatte. » Ich werde zu ihm gehen und mit ihm sprechen. Ob Ihr mir folgt oder nicht.«
    » Ich werde Euch von hier aus beobachten«, erwiderte Friend und hob die Stimme, als sie sich von ihm entfernte. » Keine Angst, dass ich Euch folge. Ich würde meine Nase nicht der Nähe dieses Kerls aussetzen!«
    Nachdem die Auseinandersetzung am Feuer vorüber und mehr oder weniger bereinigt war, schauten einige der umstehenden Piraten und Prostituierten in der Hoffnung auf weitere Unterhaltung zu Friend hinüber – und augenscheinlich fanden sie welche, denn hinter juwelengeschmückten Händen wurde getuschelt, gelacht und gekichert.
    Friend runzelte die Stirn und hob die Hand, aber er hatte sich geistig verausgabt, daher ließ er die Hand sinken und begnügte sich damit, einfach zu sagen: » Ungeziefer!«, und davonzustolzieren, um auf eine leichte Anhöhe zu treten, die Arme dramatisch vor der Brust verschränkt, und Hurwoods Tochter anzustarren. Sie hatte diesen Shandy gefunden, und sie waren ein Dutzend Schritt weit gegangen, um zu reden.
    Verabscheut mich nur, ihr alle, dachte er – euch bleibt nur noch ungefähr eine Woche Zeit dazu.
    Zum ersten Mal seit Jahren dachte Friend an den alten Mann, der ihn auf den Weg … er hielt inne, um den Ausdruck auszukosten … den Weg zur Gottheit gebracht hatte. Wie alt war Friend gewesen? Ungefähr acht Jahre alt – aber er hatte bereits Latein und Griechisch gelernt und Newtons Principia gelesen und Paracelsus’ De Sagis Earumque Operibus … und, so erinnerte er sich jetzt, schon damals hatte der Neid auf seinen scharfen Verstand und seine kräftige Konstitution Kleingeistern Anlass gegeben, ihn zu verabscheuen und zu fürchten. Selbst sein Vater, der in ihm eine Größe gespürt hatte, die er niemals verstehen würde, und ihm deswegen grollte, hatte ihn beschimpft und dazu zu zwingen versucht, sinnlose körperliche Übungen zu machen, und er hatte seine tägliche Portion an Süßigkeiten reduziert, die seinem Körper den nötigen Blutzucker lieferten. Einzig seine Mutter hatte sein Genie wahrhaft erkannt und hatte dafür gesorgt, dass er nicht mit anderen Kindern zur Schule zu gehen brauchte. Ja, er war ungefähr acht gewesen, als er den zerlumpten alten Mann am letzten Fenster des Pastetenladens hatte lehnen sehen.
    Der alte Bursche war offensichtlich einfältig und fühlte sich von dem Geruch frischgebackener Obstpasteten zu dem Fenster hingezogen, aber er gestikulierte auf eine seltsame Weise, und seine Hände machten grabende Bewegungen, als träfen sie in der leeren Luft auf Widerstand; und zum ersten Mal in seinem Leben wurde Friends Nase von dem Geruch nach überhitztem Metall beleidigt.
    Trotz allem, was man ihm wegen seiner Körperfülle nachsagte, gewandt und trittsicher war Friend hinter dem alten Mann stumm auf eine Kiste geklettert, um durch das Fenster sehen zu können – und was er sah, ließ sein junges Herz hämmern. Eine frische Pastete bewegte

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