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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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schienen – plötzlich kam ihm die Handlungsweise seines Onkels so unpersönlich pragmatisch vor wie das Verschlingen von Meeresschildkrötenjungen durch hungrige Möwen, und seine eigene Mission schien ihm so unüberlegt wie ein Versuch, die Möwen Mitgefühl zu lehren. Er öffnete den Mund, um Einwände zu erheben, aber ein Ruf aus der Menge an den Feuern hinter ihnen kam ihm zuvor.
    » Phil!«, brüllte jemand. » Kapitän Davies! Einige der Jungs stellen Fragen, die ich nicht beantworten kann!«
    Davies ließ seine Flasche in den Sand fallen. » Das ist Venner«, meinte er nachdenklich. » Wie ging dieser Angriff noch gleich? Über die Klinge nach innen und eine Finte, dann, wenn sie pariert wird, gehst du unten durch, aber nicht ganz, und stößt in die Flanke?«
    Shandy schloss die Augen und stellte es sich vor. » Richtig. Und dann passiert man den Gegner auf der Außenlinie.«
    » Verstanden.« Davies hob die Stimme und fügte hinzu: » Ich bin gleich bei dir, Venner.«
    Während die beiden Männer zu den Feuern zurücktrotteten, zog Davies eine Pistole aus seinem Gürtel. » Wenn Venner mir offen entgegentritt, kann ich mit ihm fertig werden«, bemerkte er leise. » Aber wenn er es nicht tut, will ich, dass du dich mit diesem Ding im Hintergrund hältst und sicherstellst …« Er brach plötzlich ab und stieß ein erschöpftes Lachen aus. » Aber egal. Ich habe vergessen, dass ich zu dem kleinen hölzernen Chorknaben gesprochen habe.« Er steckte die Pistole weg und schritt schneller aus.
    Shandy folgte ihm, wütend auf sich selbst, weil er sich schlecht fühlte, weil er sich aus einem Streit zwischen Piraten heraushielt wie ein Kind, das sich schämt, weil es eine törichte Mutprobe zurückweist.
    Leo Friend, dem die spitzengesäumten Unterhosen bei jedem schwerfälligen Schritt um die Knie flatterten, erreichte den Fuß des Sandsteinpfades, der von der ruinierten Festung herunterführte. Heftig schwitzend in der Enge seines fantastisch mit Bändern und Schleifen besetzten Wamses nahm er Kurs auf die Feuer, um die Davies’ Mannschaft lagerte. Beth Hurwood ging neben ihm; sie schluchzte vor Zorn und versuchte, die mumifizierte Hundepfote herauszuziehen, die Friend ihr ins Haar geschoben hatte – » Die wird Euch schützen, falls wir getrennt werden!«, hatte er ungeduldig geknurrt –, kurz bevor er sie aus ihrem fensterlosen Zimmer gezerrt und ohne viel Federlesens vor sich her den Pfad hinuntergeschoben hatte.
    Obwohl sie keine Mühe hatte, mit dem schwerfälligen jungen Mann Schritt zu halten, drehte er sich immer wieder nach ihr um, sowohl um zu schnaufen: » Könnt Ihr Euch nicht ein wenig beeilen?«, als auch um verstohlen in ihren Ausschnitt zu spähen.
    Zum Teufel mit all diesen Verzögerungen, dachte Friend, und zum Teufel mit der Art von Narren, mit denen wir uns abgeben müssen, um zu diesem Brennpunkt in Florida zu gelangen. Warum mussten es ignorante, streitsüchtige Räuber sein, die diesen Ort entdeckt hatten? Wenn andererseits ein schlauerer Bursche der Entdecker gewesen wäre, könnten Hurwood und er selbst ihn nicht so manipulieren … und er hatte den Eindruck, dass dieser Schwarzbart ohnehin fast zu gerissen für sie war. Er hielt sich zurück und ließ sie beide einiges für die Reise nach Florida auf sich nehmen, bevor er sich ihnen anschließen würde; er hätte die schützenden indianischen Heilkräuter gerade so gut kaufen können, bei Gott, statt ganz Charles Town zu blockieren, neun Schiffe zu kapern und eine ganze Schar von Geiseln zu nehmen, darunter ein Mitglied des Gouverneurrates, um dann die Kiste mit medizinischen Kräutern als Lösegeld zu verlangen. Ich wünschte, ich wüsste, dachte Friend, ob der Mann nur angibt und das Ziel verfolgt, seine Leute kriegstüchtig und diszipliniert zu halten, oder ob er dieses ganze Spektakel veranstaltet, um ein anderes Ziel zu verbergen. Aber welche Pläne konnte der Mann verfolgen, die mit der allzu zivilisierten und gesetzestreuen Küste von Carolina zu tun hatten?
    Er schaute wieder zu Beth Hurwood hinüber, die endlich die Hundepfote aus ihrem Haar gezogen hatte, und als sie das Ding wegwarf, flüsterte er einige schnelle Worte und liebkoste die Luft, und ihr Kleid flog hoch – aber sie zog es wieder herunter, bevor er mehr gesehen hatte als ihre Knie. Oh, wart’s nur ab, Mädchen, dachte er. Sein Mund wurde trocken und sein Herz hämmerte noch schneller. Schon bald wirst du so scharf auf mich sein, dass du nicht einmal mehr tief

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