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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Schlepptau genommen worden war, eigene Anweisungen. Eine weitere Stunde lang fuhr die Carmichael langsam im Zickzack durch die tiefsten Kanäle der Bucht, mit einem Minimum an Segeln und vielen Zwischenstops. Davies und Hodge, der die Jenny führte, schrien einander an; und die Frühaufsteher unter den Mannschaften der anderen Schiffe standen am Strand, sahen ihnen zu und brüllten ihre Vorschläge rüde über die langsam heller werdende Bucht. Aber schließlich befand sich das Schiff in der nördlichen Zufahrt der Bucht, passierte sie und gelangte in das tiefere Wasser des Providencekanals. Davies ließ alle Segel setzen, sogar die Leesegel, die neben den Hauptsegeln gehisst wurden, und alle drei Klüver zwischen Bugspriet und Vormast. Das Schlepptau wurde losgeworfen und beide Schiffe nahmen Fahrt auf. Ihre Segel leuchteten in der Morgensonne, als sie mit Kurs Nordwest durch die Wellen rauschten.
    Davies hatte geltend gemacht, dass man die Prinzipien des Segelns besser auf einem Boot lernen könne als auf einem Schiff, und Shandy daher der Mannschaft der Jenny zugeteilt. Nachdem er mit der Carmichael so vertraut geworden war, kam ihm die Jenny mit ihrem einen Mast und ihren Schratsegeln wie eine Nussschale vor. Aber sie führte vierzehn kleine Kanonen und zwölf Drehbassen, und als sie alles Tuch gesetzt und das Schlepptau eingeholt hatten, spürte Shandy durch die Sohlen seiner nackten Füße, dass sie ein viel schnelleres Schiff war.
    Die Carmichael übernahm jedoch die Führung, und Shandy, dem man Anweisung gegeben hatte, dass er sich jeder Tätigkeit enthalten und niemandem in die Quere kommen solle, bis sie sicher draußen auf See waren, hockte auf dem kaum tischgroßen Vordeck, beobachtete das Schiff, das einige hundert Schritt vor ihnen majestätisch durchs Wasser glitt, und fragte sich, welchen Platz Beth gefunden haben mochte, um niemandem im Weg zu sein, jetzt, da das Schiff so bedingungslos auf Geschwindigkeit getrimmt worden war.
    » Los geht’s, Jack«, sagte Skank und reichte Shandy einen Holzbecher voller Rum, bevor er zurücktaumelte, um beim Anziehen der Klüverschot zu helfen. » Noch mehr, und ich falle über Bord.«
    » Danke«, erwiderte Shandy, nahm den Becher vorsichtig in Empfang und fragte sich, ob diese Leute jemals ganz nüchtern waren. Er schaute nach Backbord zurück und sah, dass sie die schartige grüne Silhouette von New Providence Island auf der kristallblauen See schon weit hinter sich gelassen hatten. Ihm kam der Gedanke, dass er den Ort in mancher Hinsicht vermissen würde.
    Skank kam erneut zum Vordeck heraufgeschlendert und hielt sich an dem Pfosten einer Drehbasse fest. » Ja«, bemerkte er, als stimme er etwas zu, das Shandy gesagt hatte, » wir werden vielleicht nie wieder dorthin zurückkehren. Nächstes Jahr wird es schwerer sein, unsere Beute zu verkaufen, weil es den gewohnten Handelsplatz nicht mehr geben wird, wo die reichen Inselkaufleute ihre Käufer hinschicken können.«
    Shandy nippte an dem Rum. » Reiche Kaufleute machen Geschäfte mit Piraten?«
    » Nun, sicher – was denkst du, wie sie reich geworden sind? Und reich geblieben? Natürlich sind sie im Allgemeinen nicht persönlich gekommen – sie haben ihre Vorarbeiter und Männer geschickt, die ihr Vertrauen genießen, um die Geschäfte zu arrangieren. Bei großen Geschäften haben wir die Sachen manchmal sogar geliefert; in vielen mondlosen Nächten habe ich ein schwerbeladenes Boot mit tuchumwickelten Riemen an der Küste von Jamaica, Haiti oder Barbados in irgendeine namenlose Grotte gepullt. Das Ganze ergibt natürlich für alle Beteiligten Sinn; wir können ihnen die Waren ungeheuer billig verkaufen, da wir überhaupt nichts für sie bezahlt haben.«
    Nicht für alle Beteiligten, dachte Shandy. » Diese Kaufleute, an die Ihr verkauft – wissen sie, dass die Waren gestohlen sind?«
    » Aber sicher. Jack, wie könnten sie es nicht wissen? Tatsächlich können einige von ihnen es sich sogar leisten, die Küstenpatrouillen der Royal Navy zu bestechen, damit sie in die andere Richtung schauen, wenn wir die Waren bringen. Und Thatch selbst hat uns mit den wirklich reichen Kaufleuten in Kontakt gebracht: Bonnett auf Barbados – allerdings ist er inzwischen selbst Pirat geworden, das verstehe ich nicht ganz – und Lapin und Shander-knack auf Haiti und …«
    » Wer auf Haiti?« Shandy ergriff ein straff gespanntes Tau, um sich festzuhalten, und musste sich bewusst dazu zwingen, den Becher nicht fallen zu

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