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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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erwartet … im Fort.« Er tupfte sich mit einem Spitzentaschentuch die Stirn ab.
    Beth Hurwood schaute so sehnsüchtig zu den Kochtöpfen der Piraten hinüber, dass Shandy fragte: » Abendessen?«
    » Kräuter und Gemüse und Schwarzbrot«, seufzte sie.
    » Einfach, aber nahrhaft«, erklärte Friend. » Wir müssen dafür sorgen, dass sie gesund bleibt.« Auch er schaute zu den Töpfen hinüber, deutete kurz ein Würgen an, ergriff dann Beth’ Arm und führte sie davon.
    Einige der Leute in der Nähe lachten und erklärten Shandy, dass eine solche Entwicklung zu erwarten gewesen wäre, dass Mädchen sich immer für Männer mit gutem Aussehen entschieden, statt für die, die nichts anderes hätten als ehrliche Herzen.
    Shandy lachte ebenfalls, wenn auch ein wenig gezwungen, und sagte, er denke, es liege eher an Friends immerwährender Fröhlichkeit und seinem lebhaften Temperament. Er lehnte eine weitere Portion Eintopf ab, akzeptierte aber eine zweite geköpfte Flasche Latour, und er trottete in südlicher Richtung weg von den Feuern am Strand entlang auf die Carmichael zu.
    Der Bug des Schiffes ragte jetzt am Ende des schmalen Tiefwasserkanals über dem Strand auf, gestützt von einem stabilen, hölzernen Gerüst und mehreren starken Tauen, die an Bäumen verankert waren, und das Heck lag sehr tief im Hafenwasser; aber trotz der gegenwärtig unbeholfenen Position der Carmichael schien sie inzwischen viel mehr sein Schiff zu sein als während des Monats, den er als Passagier auf ihr verbracht hatte. Er war jetzt zutiefst mit ihr vertraut – er war wie ein Affe in der Takelage umhergeklettert, als sie das Schiff wieder aufgeriggt hatten; er hatte die Axt geschwungen, als sie den Deckaufbau des Vorschiffs und den größten Teil der Reling abgerissen hatten; er hatte bei der Arbeit mit Säge und Bohrer geschwitzt, als sie neue Luken für die Kanonen angelegt hatten; und er hatte mehr Stunden, als ihm lieb gewesen war, in einer Schlinge irgendwo zwischen dem Deck über ihm und dem Sand oder Wasser unter ihm gesessen und Fuß um Fuß vertrocknete Algen und Muscheln vom Rumpf geschabt, hatte die Schiffsbohrwürmer ausgegraben und kleine Messing drogues in das Holz gehämmert. Die hatte zuvor Davies’ Bocor hergestellt und mit Zaubersprüchen zu machtvollen Antiwurmamuletten gemacht.
    Und, so dachte er jetzt, als er sich dem Schiff näherte, morgen werden wir es ganz zu Wasser lassen, die Segel setzen und abreisen. Und mein Leben als Pirat wird beginnen.
    Er bemerkte, dass jemand im Sand unter dem hohen Bogen des Bugs saß, und nachdem er einen Moment lang genau hingeschaut hatte, erkannte er im Mondlicht, dass es der verrückte alte Mann war, den die Piraten stets als » Gouverneur« ansprachen – wahrscheinlich, weil sie sich seines Namens unsicher waren: Shandy hatte verschiedentlich gehört, dass er Sawney, Gonsey und Ponsea genannt wurde. Die Szene vor Shandy – der alte Mann, der unter dem Schiffsbug saß – erinnerte ihn an irgendetwas, das er nicht ganz fassen konnte … aber seltsamerweise wusste er, dass es ein Bild oder eine Geschichte war, die dem alten Sawney durch den Vergleich eine traurige Würde verlieh. Es verblüffte Shandy, in dem alten Spinner, wenn auch nur kraft einer Analogie, mehr sehen zu können als einen in der Zauberei bewanderten, aber minderbemittelten Clown.
    Dann fiel ihm wieder ein, woran ihn die Szene erinnerte: an den vom Alter verkrüppelten Jason, der unter dem Rumpf der gestrandeten und verlassenen Argo gesessen hatte.
    » Wer ist da?«, fragte der alte Mann mit zittriger Stimme, als er Shandys Stiefel im Sand hörte.
    » Jack Shandy, Gouverneur. Ich wollte nur einen letzten Blick auf die Carmichael werfen.«
    » Hast du mir etwas zu trinken mitgebracht?«
    » Ehm, ja.« Shandy hielt inne, nahm mehrere große Schlucke und reichte dem Alten dann die halbvolle Flasche.
    » Ihr segelt morgen ab?«
    » Das stimmt«, bestätigte Shandy, überrascht, dass der alte Mann es wusste und sich daran erinnert hatte.
    » Um euch dem Hunsi Kanzo und seinem Püppchen anzuschließen.«
    Shandy sah den alten Mann blinzelnd an und fragte sich, ob er wirklich einen seiner lichten Momente hatte. » Seinem Püppchen?«
    » Bonnett. Ich habe dich mit den Puppen spielen sehen, du weißt, wie man die Bürschchen springen lassen kann, wenn man sie an den Fäden hat.«
    » Oh. Ja.« Shandy hatte von einem neuen Piraten gehört, Stede Bonnett, der vor einiger Zeit unerklärlicherweise eine gutgehende

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