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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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verbanden. Noch während er dies bemerkte, sah er, wie einer der Piraten die letzte Leine mit einem Säbel durchtrennte und dann vom steil aufwärts ragenden Bug des Kriegsschiffs zehn Meter hinab ins Wasser sprang.
    » Los!«, brüllte Davies und versetzte Shandy einen harten Schlag zwischen die Schultern, bevor er nach ihm von der Reling sprang.
    Die ersten paar Minuten an Bord der Jenny waren ein albtraumhaftes Durcheinander – ein Dutzend Männer, die Hälfte von ihnen verwundet, mühte sich, Segel zu hissen, von denen die Hälfte durch Schüsse zerrissen war. Es war ein verzweifelter Versuch, in Fahrt zu kommen, manövrierfähig zu werden und freizukommen, bevor das Kriegsschiff sank und in seinem Strudel die Jenny zum Kentern brachte und mit in die Tiefe zog.
    Endlich, als das Kriegsschiff bereits halb unter Wasser war, sein gewaltiger Bug sich ganz über die Wellen erhob und die Matrosen ihre beiden Boote ein gutes Stück weggerudert hatten, blähte sich das Großsegel der Jenny im Wind. Einige Sekunden später nahm die Schaluppe Fahrt auf, und Davies befahl, noch etwas weiter abzufallen. Sie waren hundert Schritt weit nach Südosten gekommen und wurden immer noch schneller, als der Bug des Kriegsschiffes Rauch ausspie – der Pulverrauch aus seinem Innern wurde durch das eindringende Wasser herausgepresst –, verschwand und nur noch ein kochender weißer Strudel an seiner Stelle zurückblieb.
    » Halt sie auf Kurs, wie sie jetzt läuft … während wir Inventur machen«, rief Davies, der erschöpft am Heck lehnte. Er war bleich unter seiner Sonnenbräune und schien nicht die Kraft zu haben, sich von der Reling zu lösen.
    Skank legte die Klüverschot an einem Belegnagel fest und stützte sich auf das Strombord, um zu Atem zu kommen. » Wie … zur Hölle … sind wir da herausgekommen?«
    Davies lachte schwach und deutete auf Shandy, der an der Heckreling hockte und zitterte, mehr vor Entsetzen als wegen seiner nassen Kleider. » Unser Junge, Shandy, hat erst mit seiner Geschichte vom gepressten Piraten das Vertrauen des Kapitäns gewonnen – und ihn dann bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, totgeschossen.«
    In dem benommenen Schweigen, das diesen Worten folgte, wandte Shandy sich ab und schaute zurück zu den in der Ferne treibenden Schiffstrümmern auf den blaugrünen Wellen, die jedes Mal, wenn das Heck der Jenny von der Dünung emporgehoben wurde, wieder in Sicht kamen.
    Skank, dessen Erschöpfung vergessen war, stieg über die Leichen und Trümmer des Riggs zum Heck. » Wirklich?«, fragte er mit vor Ehrfurcht heiserer Stimme. » All dieses Ich-gehöre-nicht-zu-denen-Gerede war bloß Theater?«
    Shandy seufzte, und als er die Achseln zuckte, konnte er spüren, dass die Anspannung in seine Muskeln zurückgekrochen war. Dies ist jetzt mein Leben, dachte er. Die Männer in den Rettungsbooten wissen, wer ich bin. Ich könnte mich nicht deutlicher festgelegt haben. Er drehte sich um und grinste Skank an. » Das ist richtig«, sagte er. » Und ich musste es überzeugend genug machen, um auch euch zu täuschen, damit ihr richtig darauf reagiert.«
    Skank runzelte verwirrt die Stirn. » Aber du kannst es nicht gespielt haben … ich stand direkt neben dir …«
    » Ich habe dir doch erzählt, Theater war jahrelang mein Geschäft, nicht wahr?«, fragte Shandy mit aufgesetzter Leichtigkeit. » Wie dem auch sei, du hast doch gesehen, dass Davies gefesselt war, als er an Bord gebracht wurde, oder? Was denkst du, wer ihn losgeschnitten hat, der Kapitän? Und wer hat dir die Schwerter zugeworfen?«
    » Verdammt«, murmelte Skank kopfschüttelnd. » Du bist gut.«
    Davies blinzelte Shandy an und er lachte leise. » Ja«, erwiderte er. » Du bist ein guter Schauspieler, Jack.« Davies blinzelte und schwankte, bleicher als zuvor, dann schüttelte er heftig den Kopf. » Hat Hodges alter Bocor überlebt?«
    Nach kurzer Suche fanden sie den ausgemergelten Leib, der vom Deck in den Laderaum herabhing.
    » Nein, Phil«, kam ein heiserer Ruf aus einer zugeschnürten Kehle.
    » Nun, findet heraus, wo er seine stärkenden Imbisse versteckt hat, und bringt sie mir nach oben aufs Vorschiff.« Er wandte sich an Shandy und fügte leiser hinzu: » Getrocknete Leber, Blutwurst und Rosinen größtenteils. Die Bocors schlingen dieses Zeug in sich hinein, wenn sie ein schweres Stück Magie gewirkt haben, und ich habe heute ein höllisches Stück vollbracht. Die Feuergeister waren bereit und hungrig.«
    » Das habe ich

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