In Gedanken bei dir (German Edition)
wieder zu ihm um.
Die
Sonne war untergegangen, und es war zu dunkel, um den Ausdruck auf seinem
Gesicht deuten zu können. Aber seine angespannte Haltung, die hängenden
Schultern und der gesenkte Kopf verrieten ihr, dass er traurig war, sich jetzt
schon von ihr verabschieden zu müssen, wenn auch nur für eine Nacht.
Das
Funkeln in seinen Augen – war das der Widerschein der Sterne am Himmel oder
waren das die Tränen eines unausgesprochenen Schmerzes?
Ist
er so enttäuscht wie ich?, fragte sie sich. Das Abendessen ist anders
verlaufen, als ich es mir gewünscht habe. Ein funkelnder Sternenhimmel ...
sanfter Kerzenschein ... leise Worte über Lebensträume ... Aber nichts davon.
Ein Gefühl der Vertrautheit, das ja, von Wärme und Nähe, auch das. Aber kein
Blick zurück, weder ein verklärender noch ein wertender, kein Erinnern an ein
gemeinsames Leben, kein Sehnen. War’s das jetzt?
»Cassie
...« Seine Stimme klang dunkel und rau. Er griff nach ihrer Hand und drückte
sie. Mit den Fingerspitzen tastete er nach ihrem Ehering und drehte ihn am
Finger.
Was
jetzt, Alex? Willst du mir sagen, dass du es dir anders überlegt hast? Dass wir
uns morgen nicht sehen können? Dass auch ein langes, ernstes Gespräch nichts an
deiner Entscheidung ändern wird? Dass du morgen den Ring, den ich dir vor zehn
Jahren angesteckt habe, für immer ablegen wirst?
Cassies
Herz klopfte wie verrückt, und eine Hitzewelle raste durch ihren Körper, als
sie darauf wartete, dass er weitersprach. Sie spannte die Schultern an und
lauerte auf den Schlag, der sie umhauen würde. Ihre Kehle wurde eng, und sie
spürte schon die heißen Tränen in ihren Augen, als Alex sie in seine Arme
schloss und festhielt.
»Cassie,
ich will nicht, dass du jetzt schon gehst.«
Im
Schein der Sterne musterte sie sein verkniffenes Gesicht. In seinen Augen
erahnte sie ein so tief empfundenes Mitgefühl, dass sie die Fassung verlor. Auf
dem Parkplatz war es so still, dass sie ihre eigenen Atemzüge hören konnte.
»Was?«, hauchte sie.
Mit
den Fingerspitzen hob Alex sanft ihr Kinn an. »Ich will mit dir zusammen sein,
Cassie.«
Seine
Hand schob sich in ihren Nacken. Langsam neigte er den Kopf und küsste sie,
zuerst tastend und unsicher, dann sanft und zärtlich. Sie lehnte sich gegen
ihn, schmiegte sich in seine Arme und spürte seine Hände auf ihrem Rücken,
während sie seinen Kuss erwiderte.
Er
lehnte seine Stirn gegen ihre, und in seinen Augen sah sie dieselbe Verwunderung,
die sie selbst empfand, dieselbe Verwirrung. Sein Kuss war kein Trost, keine
Geste mitfühlenden Verständnisses. Und ihrer war so gefühlvoll wie seiner, so
sehnsüchtig.
Alex
wollte etwas sagen, das ihre Bestürzung in Befangenheit verwandeln könnte, in
ein Gefühl der Schuld, doch Cassie legte den Zeigefinger an seine Lippen. Hatte
er das Gefühl, Marlee zu betrügen? So wie sie das Gefühl hatte, Nick untreu zu
sein?
»Sag
nicht, dass es dir leid tut, Alex. Denn das ist nicht wahr. Du wolltest mich küssen,
und ich wollte es auch.«
Alex
streichelte ihren Nacken und zog sie so nahe heran, dass sie seinen Atem auf
ihren Lippen spüren konnte. »Ich wollte mich nicht entschuldigen«, hauchte er
und berührte ihre Lippen derart behutsam mit seinen, dass sie zu zittern
begann. »Ich wollte dich fragen, ob du noch mit zu mir kommst.«
8
Als er vom Spirit Lake Highway in die Straße
nach Indian Island einbog, warf Alex einen Blick in den Rückspiegel. Während
der langen Fahrt vom Visitor Center war Cassie bei Dunkelheit und Nebel immer
wieder über die doppelte Mittellinie gefahren und hatte das Steuer im letzten
Moment erschrocken herumgerissen, um in der Spur zu bleiben.
Ah,
okay, sie blinkte, zog ihren Wildtrak über den Highway und folgte ihm bis zum
Silver Lake.
Es
war kurz nach halb zehn, als er in seine Einfahrt einbog und seinen Blazer vor
der Garage abstellte. Als er ausstieg und zu ihr ging, um ihr die Fahrertür zu
öffnen, schaltete Cassie ihren Motor aus. Sie schulterte ihren Rucksack und
folgte Alex zur Haustür. Als er aufschloss, stand sie direkt hinter ihm, so wie
früher. Aber sie legte ihm nicht die Hände auf den Po und schob ihn nicht mit
einem provozierenden Lächeln ins Haus, um dort lachend über ihn herzufallen.
»Komm
rein.« Im Vorübergehen berührte er sie an der Schulter, und sie lächelte:
»Danke.«
Cassie legte ihre Jacke und ihren Rucksack auf den Stuhl im Flur, dann setzte
sie sich, um ihre Wanderstiefel und Socken
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