In Gedanken bei dir (German Edition)
Daddy.«
11
»Ffffchchchchiiiiuuuuffffuuuuiiiichchchch.«
Alex beugte sich über Jolie, die sich neben ihm in ihren Schlafsack eingerollt
hatte. Nur ihre Nasenspitze und die ihres Plüschhuskys schauten heraus.
»Hörst
du den eisigen Wind, Jolie?«, flüsterte er und ruckelte am Zeltdach, um den
fauchenden Schneesturm zu imitieren. »Ffffchchchch.«
Keine
Antwort. Kein Kichern seines Kindes. Kein Jaulen ihres Plüschhuskys.
Jolie
war endlich eingeschlafen.
Seufzend
glitt Alex tiefer in seinen Schlafsack, der immer noch ein wenig nach
Desinfektionsspüler roch.
Im
bläulichen Dämmerlicht seines Tablets, das neben ihm auf den Provianttüten lag,
sah das Zelt aus wie das Basislager einer Expedition in die Antarktis. Die
Folie um die Plüschhuskys sollte frisch gefallener Schnee sein, und die
raschelnde Abdeckhülle des Krankenbettes, ihres Expeditionsschlittens mit GPS
und Satellitentelefon, lag wie eine Eisschicht über das Zelt gebreitet, das er
mitten im Krankenzimmer aufgebaut hatte. Wenn Jolie ihren Finger in die
Zeltplane bohrte, raschelte sie, als schneite es draußen. Aber das Beste jeden
Tag auf der Isolierstation für Kinder war ihre Schneeballschlacht. Geht nicht?
Doch, klar! Jolie und er bewarfen sich mit Styroporflocken aus
Medikamentenkartons. Sie stopften sie sich gegenseitig unter ihre Schutzanzüge,
die aussahen wie Expeditionsausrüstungen in antarktische Regionen. Dann
kitzelten sie sich gegenseitig durch, kuschelten und schmusten – na ja, mit
einem Mundschutz war das schwierig. Aber anstelle von Küsschen gab es eben
Eskimo-Nasenstüber.
Okay,
sechs Wochen auf der Isolierstation waren für ein Kind nur schwer zu ertragen.
Aber, hey, Jolie hatte ihren Spaß dabei, wenn sie mit ihm auf eine
Schlittenexpedition in die Antarktis ging. Sie war einfach unglaublich. Sie
streichelte ihre Plüschhuskys, redete und spielte mit ihnen, fuhr auf seinem
Schoß auf dem Krankenbett ein Huskyschlittenrennen und nahm an ihren
abendlichen Lagebesprechungen für die Expedition in unerforschte Gebiete teil.
Und sie genoss es, mit ihrem Daddy zusammen zu sein.
Die
wenigen Tage mit Jolie seit der Transplantation ... was soll ich sagen? Ein
Leben ohne mein Kind kann ich mir nicht mehr vorstellen.
In
den ersten Tagen nach der Transplantation durfte Alex sie nicht mal in den Arm
nehmen, denn ihr Immunsystem war geschwächt, und jede Infektion hätte ihren Tod
bedeuten können. Und jetzt? Jolie tobte mit ihm herum und quietschte dabei, als
hätte er ihr einen neuen Akku eingebaut. Vorhin war sie derart aufgedreht
gewesen, dass er sie durchgekitzelt hatte, um diesen Akku, den er dabei an
ihrem Rücken ertastete, herauszunehmen. Sie hatte geschrien vor Vergnügen und
hatte sich vor Lachen nicht mehr einkriegt, und Alex war auch ganz außer Atem
gewesen.
Woher
nahm dieses Kind, ein zerbrechliches kleines Wesen, diese Kraft, diese
Ausdauer, diese Hoffnung und diese Lebensfreude? Woher nahm es den Mut, dem Tod
zu trotzen?
Jolie
hatte auf Alex’ Schoß gesessen, als Karen vor einigen Wochen Cassie und ihm
sagte, er käme als Spender infrage. Von den vielen Informationen, die sie ihnen
gab, von den vielen Zahlen, Statistiken und medizinischen Fachausdrücken war
ihm nur eines im Gedächtnis geblieben: Dass Jolie eine Chance hatte, wenn ihr
Körper sein Blut annahm, und dass die Abstoßungsreaktion in den Griff zu
bekommen war.
Was
für ein Augenblick in meinem Leben, dachte Alex. Ich habe einem Kind das Leben
geschenkt! Es stirbt, aber ich kann es retten! Wenn mir das gelingt, gibt es
nichts, was ich mir von meinem Leben noch wünschen würde. Na ja, doch, es gibt
etwas. Dass Cassie und ich den Mut haben, dieses Leben gemeinsam zu leben.
Vor
der Chemotherapie waren sie mit Jolie in den San Francisco Zoo gefahren, weil
ihre Kleine die Tiere sehen wollte, die sie nur aus den WWF-Videos kannte. Na
klar, die Gefahr der Ansteckung war enorm, das ganze Abenteuer war sehr
anstrengend, aber wie hatte Jolie sich gefreut, mit Jaycie, Jordan, Leah und
Shari die Löwen und Bären, die Giraffen und Kängurus zu beobachten. Ach ja,
Connor war auch dabei – Nick hatte ihn gefragt, ob er mitkommen will, weil Jordan
sonst der einzige Junge in dieser quirligen Kinderschar gewesen wäre. Und so
wanderten sechs Kinder und vier Erwachsene in immer neuen Konstellationen durch
den Zoo. Zuerst schob Connor als ihr bester Freund den Kinderbuggy, den sie für
Jolie gemietet hatten. Dann wollte Jordan,
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