In Gottes Namen
kannte alle Opfer mit Namen. Er wusste, in welcher Reihenfolge sie im Keller angeordnet waren. Er hat Ellie nachgestellt, um Himmels willen. Er ermordete sie in seinem eigenen Haus. Leute haben beobachtet, wie die Prostituierten in seinen Wagen stiegen.«
Sie wartet ab, bis ich mich wieder beruhigt habe. Ihre Miene drückt Besorgnis aus, was mich aus irgendeinem Grund sauer macht.
»Schau mich nicht so an«, sage ich. »Das Ganze ist nicht mein Problem, verstehst du? Wenn es da irgendein Geheimnis gibt, dann ist das nicht mein Problem. Ich bin schon seit fünfzehn Jahren kein Staatsanwalt mehr. Ich hab meinen Fall gelöst. Sollen sich andere darum kümmern.«
Shelly beißt sich auf die Lippen, ihre Augen zucken nervös.
»Nun sag doch was, Shelly, um Himmels willen.«
Sie legt ihre Gabel ab und bettet die Hände in den Schoß. »Wenn es nicht dein Problem ist, dann vergiss die Sache doch einfach.«
»Es vergessen?« Empört reiße ich einen Arm hoch. »Das ist dein Rat?«
»Du hast gesagt …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Vergiss es.« Ich drehe mich zum Fenster, atme ein paarmal tief durch und starre mein Spiegelbild an: ein Anwalt, der sich wie ein hochkarätiges Arschloch aufführt. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie Shelly der Kellnerin winkt. An ihrer Stelle würde ich genauso handeln. Rechnung bitte, und das war’s.
»Du brauchst meinen Rat nicht«, sagt sie. »Du weißt selbst, was du tun musst.«
Die Rechnung flattert auf den Tisch. Shelly zückt ihre Börse.
»Es wird wehtun«, sage ich.
»Natürlich. Wenn du dich gegen Harland wendest, werden die Anwälte deiner Firma darunter leiden. Vielleicht wird deine Firma pleitegehen. Und falls du damals wirklich was übersehen hast, könnte das ziemlich unangenehm für dich werden – als Mensch und vielleicht auch beruflich. Was die fünfprozentige Möglichkeit betrifft, dass du den falschen Mann in die Todeszelle geschickt hast – damit wirst du leben müssen.«
Ich fahre mir übers Gesicht. Sie hat recht. Kein Zweifel. Ich musste es nur von jemand anderem hören.
»Du kannst die Sache auch einfach vergessen«, fügt sie hinzu. »Das ist dein gutes Recht. Du bist kein Staatsanwalt mehr. Jeder hätte Verständnis dafür.«
Ich verberge mein Lächeln. Sie versteht mich besser, als ich mir eingestehen will. Sie eröffnet mir einen Ausweg, damit ich mich gut fühlen kann, wenn ich ihn nicht beschreite.
Als ich sie zu ihrem Wagen begleite, hakt sie sich bei mir unter. Eine an sich harmlose Geste, die mir jedoch sehr viel bedeutet. Ich will mehr davon. Ich will sie heute Nacht in meinen Armen halten, ihr Haar riechen, meine Finger über ihren weichen Bauch gleiten lassen.
Stattdessen küsst sie mich sanft, und ihre Hand entzieht sich der meinen. Ich schließe die Wagentür hinter ihr. Sie winkt mir zum Abschied, und ich weiß die Tatsache zu schätzen, dass unsere Trennung diesmal nicht für lange sein wird.
Don Regis von der Technischen Abteilung der Bezirksstaatsanwaltschaft kommt in den Besprechungsraum gestürmt. Nach seinem Anruf vor etwa zehn Minuten haben McDermott und Stoletti ihn bereits mit Spannung erwartet.
Ein Fingerabdruck an der Tür von Brandon Mitchums Apartment hatte einen Treffer in ihrer Datei erzielt.
»Die Abdrücke stammen von einem gewissen Leonid Koslenko. Ein russischer Immigrant.« Don Regis lässt die Akte auf McDermotts Schreibtisch fallen. »Verhaftungen wegen Körperverletzung und Mordverdacht. In beiden Fällen wurde die Anklage fallen gelassen.«
McDermott schlägt die Festnahmeprotokolle auf und wirft als Erstes einen Blick auf die Fotos – Schwarzweiß-Aufnahmen des Mannes mit dem kantigen Gesicht und der halbmondförmigen Narbe unterm Auge. Seine Hand ballt sich zur Faust. Eine Woge der Erleichterung durchströmt ihn und ein gehöriger Schuss Adrenalin. Es ist derselbe Mann wie auf dem Foto aus Ciancios Apartment. Der Mann, der heute in Brandon Mitchums Wohnung war.
Er überfliegt die Protokolle. Vor fünf Jahren wurde Leonid Koslenko wegen tätlichen Angriffs auf eine Frau in der West Side verhaftet. Vor zwei Jahren war er wegen des dringenden Verdachts eingebuchtet worden, eine Frau ermordet zu haben, keine drei Blocks vom ersten Tatort entfernt.
Bei beiden Fällen stößt McDermott auf den Ausdruck nolle prosequi, den juristischen Terminus für die Einstellung des Verfahrens.
Und in beiden Fällen waren die Opfer Prostituierte.
Das erste Festnahmeprotokoll war umfangreich. Er blättert durch
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