In Gottes Namen
Privatleben? Die wichtigste Entscheidung, die ich treffen muss, ist, ob ich abends den Sportkanal einschalte oder mir alte Spielfilme auf A&E anschaue. Man wird bequem, und irgendwann ist man damit zufrieden.
Mein Leben wurde durch die Beziehung zu Shelly gründlich auf den Kopf gestellt. Ich begegnete ihr, wo ich den meisten Menschen in meinem Leben begegne – im Gerichtssaal. Ich gewann den Prozess und hörte nichts mehr von ihr, bis sie mich Jahre später bat, jemanden zu vertreten, der wegen Mordes angeklagt war. Neben der hitzigen Erregung des Zweikampfs vor Gericht spürte ich bei ihr sofort etwas Besonderes, ihren kämpferischen Geist, ihre tiefe Überzeugung.
Und als sie die Beziehung beendete, konnte ich nicht mehr zurück in mein altes Leben. Die gewohnte Bequemlichkeit wollte sich nicht mehr einstellen. Meine Assistentin Betty hat recht. Ich habe schon immer gerne einen über den Durst getrunken, aber seit jener Nacht ist das zur olympischen Disziplin bei mir geworden. Die letzten Monate war ich ein ziemliches Wrack. In der Arbeit habe ich auf Autopilot geschaltet und mich in Selbstmitleid gehüllt.
Jetzt ist Shelly zurück, unter dem Vorbehalt, dass ich keinen Druck auf sie ausübe, und sofort bombardiere ich sie mit all diesen Problemen. Ich wollte sie eigentlich gar nicht anrufen und hierher bitten, und ich hatte kein gutes Gefühl, als ich ihre Nummer in mein Handy tippte. Aber ich brauche sie, ob es mir gefällt oder nicht.
Bisher hat sie noch kein einziges Wort gesagt. Sie ist eine großartige Zuhörerin.
Als ich fertig bin, bemerkt sie: »Was bereitet dir an der ganzen Sache am meisten Sorgen?«
Ich lache. Nach allem, was ich ihr erzählt habe, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll.
»Harland ist es nicht«, sagt sie.
Ich schiebe meine Tasse in Richtung Kellnerin, und sie schenkt mir nach. »Scheiß auf Harland.«
Shelly unterdrückt ein Grinsen. Vermutlich ist sie überrascht, das aus meinem Mund zu hören. Sie selbst hält nicht allzu viel davon, große Konzerne juristisch zu beraten. Ich habe einmal versucht, sie in meine Firma zu locken, indem ich ihr eine Partnerschaft anbot, aber ich konnte sie nicht von ihrer juristischen Arbeit für Kinder abbringen. Für sie geht es vor allem um den Einsatz, nicht um die Höhe der Entlohnung.
So war ich auch mal.
»Du glaubst, du hast damals was übersehen.«
Bei diesen Worten zucke ich zusammen. »Was ich mir einfach nicht erklären kann, ist, warum sich das bis in die Gegenwart auswirkt. Cassies Schwangerschaft, das war vielleicht damals, vor fünfzehn, sechzehn Jahren, ein Problem für jemand. Aber jetzt doch nicht mehr. Harland hatte Sex mit Ellie Danzinger? Okay, vor sechzehn Jahren hätte das sicher einen Skandal ausgelöst. Aber wen juckt das heute noch? Ich kann in all dem keinen Sinn erkennen.«
Sie langt über den Tisch und greift nach meiner Hand. »Aber du kannst auch dich nicht damit abfinden, dass sich nichts dahinter verbirgt.«
Menschen sterben nicht ohne Grund, will sie damit sagen. Es handelt sich nicht um die zufälligen Opfer eines wahnsinnigen Amokläufers. Es gibt eine Verbindung.
Die Kellnerin bringt einen Bagel mit Frischkäse für mich und für Shelly einen Salat. Ich habe das Abendessen versäumt und muss irgendwas zu mir nehmen, egal, wie sehr mein Magen rebelliert. Wir spielen eine Weile schweigend mit unserem Essen.
»Er hat ein Geständnis abgelegt, Shelly. Ich war selbst dabei, als Burgos damit rausrückte.«
Sie betrachtet ihren Salat, gruppiert die Gurken und die Tomaten mit ihrer Gabel um. Sie denkt gründlich nach, bevor sie mich fragt: »Bist du ganz sicher, dass Burgos diese Mädchen getötet hat?«
»Hundert Prozent.« Ich reiße ein Stück von meinem Bagel ab und starre es an.
Eine Gruppe von College-Studenten strömt ins Diner, nach Zigaretten und Alkohol stinkend und in eine lautstarke Unterhaltung vertieft. So war das damals. Man scherte sich um nichts. Wie beneidenswert.
Noch haben sie keine Ruinen in ihrem Leben hinterlassen. Keine unwiderruflichen Entscheidungen getroffen. Reue ist ihnen noch kein Begriff. Für sie ist das Leben ein einziges gigantisches Musikvideo.
Ich verfolge, wie sie auf eine Sitzecke zusteuern, während ihre angeregte Diskussion langsam leiser wird, dann wende ich mich wieder Shelly zu, die mich neugierig mustert.
»Zu fünfundneunzig Prozent«, sage ich. »Nein. Zu einhundert Prozent.« Ich schlage mit der Faust auf den Tisch. »Gottverdammt – einhundert Prozent. Er
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