In Gottes Namen
Abwesend zupft sie an einem Fingernagel und schüttelt langsam den Kopf.
McDermott beobachtet sie, schweigt aber. Seiner Erfahrung nach sind die besten Befragungen die mit den kurzen Fragen und den langen Antworten.
Sie räuspert sich mehrmals und fährt dann mit leiser Stimme fort. »Nach meinem Auszug war ich nie wieder dort. Ich zog hier bei Gwendolyn ein; ich wollte nicht, dass sich unser Personal noch mischte. Harland sollte seine Leute haben und wir unsere. Ich wollte eine endgültige und vollständige Trennung.«
Er nickt. »Und Leo?«
»Leo wäre vermutlich besser bei uns geblieben«, sagt sie. »Aber so war es nicht.«
»Leo blieb in Harlands Haus?«
Natalia schließt die Augen. Sie führt eine Hand zur Stirn und streicht ihr Haar zurück, das ohnehin straff zurückgebunden ist. »Sie denken sicher, ich müsste die Antwort darauf wissen. Man sollte denken, dass jemand, der die Verantwortung für Leo übernommen hat, bei ihm nach dem Rechten sieht.«
»Aber das taten Sie nicht.«
Sie lächelt zaghaft. »Nach dem Tod meiner Tochter ging es mir zwei Jahre nicht besonders gut. Ich hatte selbst lange Jahre Probleme mit Alkohol- und Tablettenmissbrauch, falls Sie das nicht wissen.«
Er schüttelt verneinend den Kopf. »Meine Tochter war für mich immer das beste Gegenmittel gewesen.« Sie seufzt und fährt mit ausdrucksloser Stimme fort. »Nachdem sie Cassie gefunden hatten, war ich zwölf Monate lang keinen einzigen Tag nüchtern. Daher kann ich nur sagen, nein, Detective, ich hatte keinen Überblick, was aus Leo wurde.«
McDermott kritzelt etwas auf seinen Notizblock.
»Aber vielleicht können Sie mir sagen, was aus ihm geworden ist?«
»Ich wollte, ich könnte es. Darf ich Sie nach dem Grund für Ihre Scheidung fragen? So kurz nach Cassies Tod?«
»Sie dürfen.« Sie zückt ein goldenes Etui und zupft eine Zigarette heraus. »Ich hoffe, das stört Sie nicht. Es ist das einzige Laster, dass ich mir noch erlaube.« Sie zündet die Zigarette an und hält sie mit angehobenem Ellbogen nah an ihrem Gesicht.
McDermott breitet fragend die Hände aus.
»Ist das wirklich von Bedeutung für Ihre Nachforschungen?«
»Unter Umständen«, sagt er.
»Ich kann mir nicht vorstellen, warum.«
»Mrs. Lake, in meinem Beruf kann man erst sagen, was von Bedeutung ist, nachdem man es in Erfahrung gebracht hat.«
Der Rauch wogt um ihr Gesicht, und Natalia pickt sich mit einem ihrer langen Fingernägel einen Tabakkrümel von den Lippen. »Sie weichen meiner Frage aus.«
»Ich brauche eine Antwort, bitte. Ich habe nicht viel Zeit.«
Sie gönnt sich ein paar Züge von ihrer Zigarette, als überlege sie, ob sie antworten soll. McDermott vermutet, dass sie eher darüber nachdenkt, wie sie antworten soll.
»Mein Ehemann«, sagt sie, »hatte Probleme mit der ehelichen Treue.«
Ah, jetzt kommen wir weiter. McDermott denkt an den Brief aus Koslenkos Haus, die Anspielung auf Harlands Affäre mit Ellie Danzinger.
»Ging es dabei speziell um eine bestimmte Person?«
Mit ernstem Gesicht streifte sie ihre Zigarette in einem luxuriösen Aschenbecher ab. »Ich nehme an, sein Problem besteht eher darin, dass es um niemand Bestimmten geht.«
McDermott starrt auf seinen Notizblock. Oben auf das kleine Blatt hat er ein paar bedeutungslose Linien gekritzelt. Diese Stoßrichtung scheint ihn nicht weiterzubringen.
»Mrs. Lake, wie gut kannten Sie Cassies Freundin Ellie Danzinger?«
»O Herr im Himmel.« Sie bedeckt die Augen, als wolle sie sich vor allzu grellem Sonnenlicht schützen. »Mr. McDermott, wenn Sie es ohnehin wissen, dann hätten Sie es doch einfach sagen und mir die ganze Peinlichkeit ersparen können.«
»Sie sprechen jetzt von Ellie.«
Sie spreizt die Hände, und ihr Gesicht wird aschfahl. »Ist das nicht der Punkt, um den sich hier alles dreht? Ja, Detective, ja. Harland hat mit Cassies bester Freundin geschlafen. Sie war eine weitere wunderschöne Frau, der er nicht widerstehen konnte. Verzeihen Sie bitte«, fügt sie hinzu, wieder mit etwas leiserer Stimme.
McDermott schweigt einen Moment. Er kann nicht gut mit Gefühlen umgehen, besonders bei Frauen. Aber die Sache ist zu wichtig, um jetzt klein beizugeben.
»Es tut mir leid, Ihnen diese Fragen stellen zu müssen, Mrs. Lake. Ich versuche, eine Serie von Morden aufzuklären. Eine Serie, die nicht abreißt. Diese – Affäre – haben Sie darüber auch mit Harland gesprochen?«
»O Gott, nein, natürlich nicht.« Sie hat sich jetzt vollständig von McDermott
Weitere Kostenlose Bücher