In Gottes Namen
Und es wäre untertrieben, zu sagen, ich hätte sie gedrängt, es mir zu verraten. Tatsache ist, ich habe mich viel zu sehr auf diese Angelegenheit konzentriert und viel zu wenig darum gekümmert, wie sich das Ganze auf meine Tochter ausgewirkt hat. Noch heute mache ich mir Vorwürfe deswegen.«
Er denkt an den Brief aus Koslenkos Haus und die Anspielung auf Professor Albany und Cassie. Diesmal wird er den Namen nicht von sich aus verraten, wie bei Ellie. »Können Sie mir irgendwelche Namen nennen? Freunde, irgendwas in der Art?«
»Sie wollte es mir nicht erzählen. Sie weigerte sich standhaft. Sie wollte diese Person unbedingt schützen.«
McDermott beobachtet ihren Gesichtsausdruck. »Aber?« Sie starrt ihn an, und wieder kocht die Wut in ihr hoch. »Aber natürlich hatte ich einen Verdacht. Sie schien doch ein sehr inniges Verhältnis zu einem ihrer Professoren zu haben.«
McDermott nickt unwillkürlich. Und seine Reaktion bleibt Natalia nicht verborgen.
»Auch das wussten Sie bereits, nicht wahr?«, sagt sie und stößt ein bitteres Lachen aus. »Schon wieder fragen Sie mich etwas, das Ihnen längst bekannt ist. So springen Sie mit Menschen um. Sie tun so...«
»Hören Sie, Mrs. Lake.« Er hebt die Hand. »Es ist wichtig, dass ich die Informationen aus Ihrem Mund höre, und nicht umgekehrt. Sie werden das verstehen. Bitte, geben Sie mir einfach einen Namen.«
»Er war Zeuge bei dem Prozess«, sagt sie. »Mr. Albany.«
Als Gwendolyn sich kurz entschuldigt und in Richtung Damentoilette verschwindet, hole ich mein Handy heraus und rufe McDermott an. Seine Mailbox schaltet sich ein, und ich hinterlasse eine kurze Nachricht, dass ich ihn unbedingt sprechen muss.
Wir haben jetzt die Identität des Täters, des mysteriösen »Leo«. Der Verbindungen zur Bentley-Familie hat und gemeinsam mit Harland auf dem Foto mit den Reportern auftaucht.
Gwendolyn kehrt zurück und lässt sich mir gegenüber in den Sitz fallen.
»Ist er wirklich ein Mörder?«, will sie wissen. »Bitte sagen Sie es mir.«
»Leo? Mit ziemlicher Sicherheit«, gebe ich zu.
Sie stöhnt. »Er war nie ganz von dieser Welt. Geistig, meine ich.« Sie starrt auf den Tisch. »Ich hab nicht viel mit dem Personal zu tun gehabt. Aber er war immer – ein bisschen seltsam. Die Art, wie er einen so lange anstarrte oder irgendwas vor sich hin murmelte. Meine Mutter sagte mal, er hätte in Russland Schwierigkeiten gehabt.«
»Russland?«
»Oh ja. Er war ein Immigrant. Ich glaube, seine Familie war mit der meiner Mutter bekannt. Meine Großmutter war Tänzerin in Russland.«
»Ja, ich weiß.«
»Und ich glaube, seine Familie bat uns, ihn bei uns wohnen zu lassen. Als eine Art Gefallen.«
»Was für Schwierigkeiten hatte Leo in Russland?«
Sie schüttelt den Kopf. »Weiß nicht. Ich habe kaum mehr als zwei Worte mit ihm gewechselt. Cassie war da anders. Das Personal liebte sie.«
Rasch gehe ich im Kopf die nächsten Fragen durch. Mein letztes Gespräch mit Gwendolyn verlief nicht allzu erfolgreich. Mir wurde eine zweite Chance gewährt, und diesmal will ich alle wichtigen Punkte abdecken.
Eine Kellnerin trabt an uns vorbei, in den Händen ein Cholesterin-Special – Bratkartoffeln mit fetttriefenden Eiern und Speckscheiben. Beim Geruch des gebratenen Essens dreht sich mir der Magen um.
»Gwendolyn«, sage ich, »wo hatten Cassies Ärzte ihre Praxis?«
»Ihre Ärzte? Keine Ahnung – doch, warten Sie«, unterbricht sie sich. »Vermutlich ging sie zu denselben Ärzten wie ich. Ich hatte einen Arzt namens Sor – ich glaube, er hieß Sorenson? Ja, genau, Dr. Sorenson.« Sie nickt. »Dr. Sorenson war praktischer Arzt. Immer wenn ich in den Staaten war, ließ ich mich dort gründlich durchchecken.«
»Wo hatte Dr. Sorenson seine Praxis?«
»Oh.« Sie seufzt. »Das war ein Gebäude im Nachbarort.«
»Das Sherwood Executive Center?«
Sie zuckt mit den Achseln. »Der Name des Gebäudes? Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Auf der Lindsay Avenue in Sherwood Hights? Ein Ziegelbau?«
»Ja.« Ihre Augen wandern zur Decke. »Richtig. Lindsey. Das Gebäude gehört, glaube ich, zur Mercy Group. Es war so zehn oder zwölf Stockwerke hoch, denke ich mal.« Sie sieht mich wieder an. »Warum?«
»Die Polizei will vielleicht mit Cassies Ärzten sprechen.«
Die Kellnerin schenkt Kaffee nach. Gwendolyn lächelt sie an. Ich habe meinen kaum angerührt, weil er ebenso dünn ist wie die Brühe im Büro.
Ich lehne mich zurück und versuche die
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