In Gottes Namen
immerhin ist es ihnen gelungen, wenige Tage nach Beginn der Mordserie seine Identität zu ermitteln – aber Fairness war noch nie eine herausragende Tugend im politischen Konkurrenzkampf.
Schon jetzt haben sie ihn aufs Abstellgleis geschoben. Er hat in diesem Fall nur noch beratende Funktion, und wenn alles vorüber ist, wer weiß, wie es dann bei ihm weitergeht.
Vermutlich werden sie ihn nicht auf Streife schicken. Das wäre eine Degradierung um drei Ränge. Da würde die Gewerkschaft nicht mitspielen. Nein, er wird einen Schreibtischposten kriegen – irgendwo in einem muffigen Keller, etwas, das ihn zur Kündigung zwingt. Und wenn alles vorbei ist, wird McDermott vielleicht sogar die Energie aufbringen, sich darüber ernsthaft Gedanken zu machen.
Er steckt den Kopf in den Konferenzraum und schaut nach Riley. Riley wird es noch heftiger erwischen als alle anderen. Wenn sich ihr Verdacht erhärtet, hat er entweder den falschen Mann in die Gaskammer geschickt oder es versäumt, einen Mittäter, einen Mitverschwörer zu fangen. Und falls sein Klient Harland Bentley in die Sache verstrickt ist, haben die Medien die freie Auswahl an Motiven: Riley hat die Ermittlungen behindert, entweder um sein Versagen vor sechzehn Jahren zu vertuschen oder um seinen Mandanten zu decken.
Aber was die Presse und der Bezirksstaatsanwalt Riley zufügen werden, ist nichts im Vergleich zu dem, was er sich selbst antun wird. Diese Geschichte wird ihn nie mehr loslassen. Manchmal wird es kurz an Intensität verlieren, nur um dann umso heftiger wieder auf ihn einzustürzen, ohne jede Vorwarnung. Jeder Moment des Glücks wird davon getrübt, sein ganzes Leben beeinträchtigt.
McDermott weiß das besser als jeder andere.
Mami hat das selber getan, hat er zu Grace gesagt, immer und immer wieder, unzählige Male. Es war Mami. Sie war krank und wollte gehen.
Dabei weiß er nicht, was wirklich geschehen ist. Er wird es nie wissen. Immer wieder malt er es sich aus, als wäre er als unsichtbarer Beobachter dabei gewesen, und sucht nach der am wenigsten schrecklichen Variante: Sie hat von Grace nur verlangt, ihr die Schuhschachtel aus dem Schrank zu holen, sonst nichts weiter; sie wollte Grace nach unten schicken, damit sie es nicht mit ansehen musste; sie wollte erst ihren Mann anrufen, damit er sich um Grace kümmern konnte; vielleicht war sie sich nicht mal sicher, ob sie die Pistole überhaupt benützen würde. Vielleicht wollte sie ihre Meinung im letzten Moment ändern.
Dann ging die Pistole los. Aber vielleicht war es ein Unfall. Jedenfalls hätte sie ihrer Tochter niemals befohlen, den Abzug zu drücken. Nein, wie gepeinigt ihre Seele auch war, das hätte sie ihrer Tochter nicht angetan. Es war ein Unfall.
Aber er weiß es nicht. Er wird es nie wissen.
Mami hat das getan. In der Hoffnung, dass es durch die Wiederholung zum festen Bestandteil ihrer Erinnerung wird. Sag es oft genug, und sie wird es glauben. Haben Dreijährige überhaupt Erinnerungen? Seine früheste Erinnerung reicht in das Alter von fünf Jahren zurück. Er sitzt auf dem Absatz vor einem Kamin und spielt mit Tierfiguren und einer kleinen Scheune. Aber mit drei?
Dr. Sutton meint, nein. Es besteht nur eine minimale Chance, dass sie sich daran erinnert. Wenn sie es überhaupt irgendwann versuchen sollte. Wenn es sich überhaupt so abgespielt hat.
Riley hockt bewegungslos in einem Stuhl, er nimmt keine Notiz von McDermotts Anwesenheit. Seine Augen sind blutunterlaufen und tief in sein bleiches Gesicht eingesunken. Sein Haar steht wild in alle Richtungen. Seine Krawatte ist verschwunden. Wie auch immer die ganze Sache ausgeht, eines ist für McDermott gewiss: Riley hat sich keines Verbrechens schuldig gemacht. Man kann die Fakten interpretieren, wie man will, aber sein Instinkt hat ihn bisher noch nie im Stich gelassen. Warum hätte sich Riley sonst mit Gwendolyn Lake getroffen? Warum Brandon Mitchum aufgesucht?
Einfach, weil er wissen wollte, ob er während seiner Ermittlungen im Fall Burgos etwas übersehen hat. Er verfolgte die Sache so hartnäckig, dass er bereit war, den größten Erfolg seiner Karriere infrage zu stellen, um die Wahrheit zu erfahren.
»Burgos ist Ihnen in den Schoß gefallen«, sagt McDermott zu Riley. »Er hatte ein Motiv, er hatte die Gelegenheit, sein Haus war voller Beweisstücke. Er hat gestanden. Ich habe das Vernehmungsprotokoll gelesen. Jeder an Ihrer Stelle hätte es genauso dabei bewenden lassen, mit dem Täter derart unmittelbar vor
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