In Gottes Namen
in einen der Streifenwagen setzt, aber er hat sich geweigert. McDermott lässt ihn hierbleiben, unter der Bedingung, dass er ihnen nicht in die Quere kommt.
In Rileys Gesicht stehen nicht nur Trauer und tiefer Schock geschrieben. Vor allem spricht es von Schuld. Das hier geht auf seine Kappe, egal, was alle anderen dazu sagen. Mit der Zeit wird auch er nach Rechtfertigungen dafür suchen. Er wird sich sagen, dass er im Fall Burgos sein Bestmögliches getan hat. Er wird sich einreden, dass Leo Koslenko Shelly getötet hat und nicht er selbst. Aber er wird nicht daran glauben. Er wird sich ein Leben lang Vorwürfe machen.
McDermott kann ein Lied davon singen.
Er hatte die Möglichkeit und auch das Recht, seine Frau einweisen zu lassen, gegen ihren Willen. Mit einem dreijährigen Kind hatte er sogar mehr als das – er hatte die Verantwortung. Wie also konnte er an diesem Tag Joyce allein mit Grace zurücklassen? Nachdem er ihren Zusammenbruch am Vorabend miterlebt hatte?
Wie hatte er Gracie das nur antun können?
Sie gibt sich selbst die Schuld, sagte der Arzt.
Wie hatte sie ihrer Tochter das antun können? Egal wie krank, egal wie verstört – wie hatte Joyce der kleinen Grace das antun können?
Hol die Schuhschachtel vom Schrank.
Mach sie auf.
Gib Mami das Ding.
Er bemerkt, dass er auf der Schwelle zu Shelly Trotters Badezimmer verharrt. Was sich hier abgespielt hat, ist zutiefst grausam und böse, egal, wie man es hindreht, egal, ob es das Produkt einer geistigen Störung ist. Der Tod kennt keine Ausnahmen, nur Opfer.
Der Einschusswinkel. Der Spurentechniker dachte, McDermott könnte ihn nicht hören. Er wusste nicht, dass McDermott, der seine dreijährige Tochter fest im Arm hielt, aufmerksam auf jedes Wort aus dem Nebenzimmer lauschte.
Der Winkel ist sehr ungewöhnlich für einen Selbstmord.
»Mike.«
Sie hätte die Pistole über einen Meter von sich weg halten und damit auf sich zielen müssen.
»Mike.«
Dann muss es eben so passiert sein, hatte Ricki Stoletti gesagt, die damals seit vier Monaten seine Partnerin war. Dann ist es genau so passiert.
Stoletti berührt seinen Arm. Sie wirft keinen Blick ins Badezimmer, aber sie ahnt, was sich in McDermott abspielt. Sie haben nie darüber gesprochen, nicht mal direkt nachdem es geschehen war. Damals, nach dieser Unterhaltung mit dem Techniker, hatte Stoletti es vermieden, McDermott anzusehen.
Der Fall ist abgeschlossen, war alles, was sie zu ihm sagte. Selbstmord.
»Hey, Mike«
Danke, dachte er, hatte es aber nicht ausgesprochen. Damals nicht, und auch später nie.
»Der Gouverneur ist da«, sagt sie. »Mach dich bereit für die Show.«
Ich erhebe mich, als Gouverneur Trotter hereinrauscht, in Anzug und olivfarbenem Regenmantel, dicht gefolgt von seiner Frau Abigail und einem ganzen Tross Sicherheitsbeamter. Er stürzt auf mich zu, ergreift meine Hand, er zittert, seine Augen sind rot, aber nicht nass. Er weint nicht. Das hat er bereits erledigt.
»Wie …?« Seine Augen suchen in meinen nach einer Antwort, aber ich habe keine.
»Es ist wegen mir«, sage ich. »Er hat sie wegen mir getötet.«
Er schüttelt den Kopf, als verstehe er nicht recht. Nichts an dem Ganzen hier macht Sinn. Das wird es womöglich auch nie. Hinter ihm versucht sich seine Frau an McDermott vorbeizudrängen, um Shelly zu sehen.
»Abby, gehen Sie da nicht rein«, sage ich. »Das ist nicht … das ist nicht mehr Shelly.«
»Wie konnte das passieren, Paul?« Sie wendet mir ihr Gesicht zu, das um Jahre gealtert wirkt. »Was haben Sie getan, Paul?«
Es gibt nichts, was ich darauf erwidern könnte. McDermott tritt heran, nimmt den Gouverneur beim Arm und führt ihn und seine Frau in die Küche, um mit ihnen zu sprechen. Plötzlich jedoch reißt der Gouverneur sich los, späht ins Badezimmer, und kurz darauf folgt ein zutiefst gequälter Aufschrei.
McDermott, den die Anwesenheit des Commanders und des Gouverneurs irritiert, ist erleichtert, als sie endlich in Richtung Revier abziehen. Es ist kurz vor neun Uhr abends. Schon der zweite Abend in Folge, an dem er Grace nicht ins Bett gebracht hat. Und es könnte die zweite Nacht in Folge werden, in der er keinen Schlaf findet. Zum ersten Mal seit Stunden spürt er, wie sein Adrenalinspiegel sinkt. Sein Kopf ist völlig erschöpft. Die Beine kann er nur noch unter Schmerzen bewegen.
Susan Dobbs, die junge Gerichtsmedizinerin, gehört zu den wenigen, die sich jetzt noch im Apartment aufhalten. Mittlerweile hat ihr
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