In Gottes Namen
werfen und ihn anbetteln würde, mein Leben gegen ihres einzutauschen. Kurz wird mir bewusst, dass ich mich auf diesen Tausch tatsächlich einlassen würde. Aber Leo Koslenko kann mit Schwäche oder Bettelei nichts anfangen.
Jetzt betrachtet er mich mit fragendem Ausdruck. »Wie – wie?«
»Wie ich auf diesen Ort gekommen bin? Das wissen Sie sehr genau, Leo.«
Ich bleibe vage, aus Angst, dass mich jede spezifische Auskunft verraten könnte. Ich habe keine Ahnung, wie ausgeprägt seine Psychose ist. Hört er Stimmen? Sieht er einen Baum und denkt, es wäre ein in Baumrinde gekleideter Spion?
Verrückt, aber nicht dumm. Nur: wie verrückt?
Egal, im Moment jedenfalls misstraut er mir. Ich lasse ihn schmoren, so, als sei die Antwort offensichtlich. Koslenko scheint unentschlossen, wie er reagieren soll.
»Natalia hat es mir gesagt, Leo. Was denn sonst?«
»Misses … Misses … Bentley? Misses -« Koslenko starrt nach unten, aber nicht auf Shelly. Er scheint innerlich mit irgendwas zu ringen. »Sie – mag?«
Sie mag?
»Nicht – bö – böse?«, will er wissen.
Okay. Daraus lässt sich einiges folgern. Er fragt sich, ob Natalia zufrieden ist mit dem, was er diese Woche angerichtet hat. Und genau das verrät mir, dass er alles in eigener Regie getan hat – nicht auf Natalias Geheiß hin. Mrs. Bentley, so hat er sie genannt. Ja. Das war viele Jahre lang ihr Name. So hieß sie damals, als Cassie ermordet wurde.
Er hat diese Woche nicht mit Natalia gesprochen. Und das gibt mir Raum.
»Nein, Leo, sie ist nicht böse. Sie haben schließlich einfach nur Cassie geschützt.«
Er schaut zu mir auf. Er sagt nichts, aber sein Ausdruck verrät tiefe innere Qualen. Dieser Mann, der in den letzten Tagen zahlreiche Menschen grausam getötet hat – und vor sechzehn Jahren vielleicht noch einige mehr – erweckt den Eindruck, als würde er gleich zu weinen anfangen.
»Niemand weiß, dass Cassie Ellie Danzinger getötet hat«, sage ich. »Und ich werde dafür sorgen, dass das so bleibt.«
Koslenko senkt den Blick. Wie ein kleines Kind, dessen Haustier gerade gestorben ist.
»So viel Angst«, sagt er. »So viel Angst …«
Cassie hat so viel Angst, sie zittert, sitzt am Küchentisch, weint, nimmt Leos Hand, ich glaube, ich hab sie umgebracht – ich glaube, ich hab Ellie getötet, sagt sie. Alles kommt wieder in Ordnung, sagt er zu ihr. Mutter, ich muss sie anrufen. Mrs. Bentley tritt herein, und sie gehen nach oben, Leo bleibt unten in der Küche, starrt aus dem Fenster in die Dunkelheit, er mag die Dunkelheit, und er beschließt, alles kommt wieder in Ordnung, okay, alles wird wieder gut. Er hilft freiwillig, Nat ist einverstanden. Nachschauen, ob Ellie tot ist, kontrollieren, ob sie schon tot ist. Wenn nicht – wenn sie nicht tot ist – dann macht er sie tot.
Eine Adresse. Er kennt den Namen: Terry Burgos. Er weiß es wegen der Sache vor Gericht, der Mann hat Ellie geärgert, ist ihr gefolgt, und jetzt werden sie die Leiche vor Terrys Haus finden, er wird verdächtigt, Cassie ist gerettet.
Einfach, ganz einfach. Er parkt in zweiter Reihe. Die Tür ist zu, aber nicht abgeschlossen. Ellie liegt auf dem Bett, Gesicht nach oben, die Augen zur Decke gerichtet, ihr Körper kalt und steif. Er trägt sie zur Eingangstür, späht hinaus, niemand da, er schafft sie ins Auto, fährt zu Terrys Haus, das gleiche Spiel, dunkel, niemand wach, trägt die Leiche zur Hintertür von Terrys Haus und rennt zurück zum Wagen.
Bleib dort, hat sie ihm gesagt. Schau zu, was passiert.
Er parkt den Wagen weiter weg, kommt zu Fuß zurück. Er hat nicht erwartet, dass es in der ersten Nacht schon passiert, aber es geschieht in dieser Nacht, eine Gestalt, Terry, ja, es ist Terry, Terry schleppt einen Körper durch seinen Garten zur Garage. Terry verschwindet durch die Seitentür in der Garage, dann rennt er zurück zum Haus und kommt mit Decken und einer länglichen Tasche zurück.
Fünf Minuten. Zehn. Zwanzig. Vierzig. Eine Stunde.
Dann öffnet sich die Garagentür, der Chevy stößt rückwärts aus der Garage und fährt weg. Er weiß nicht warum, er weiß nicht wohin.
Was ist los? Was ist hier geschehen? Dieser Mann, Terry Burgos – was hat er mit Ellies Leiche angestellt? Leo hat sich alles Mögliche ausgemalt, aber nicht das.
Er berichtet Natalia davon. Er weiß nicht mal, wo Terry sie hingeschafft hat. Natalia schweigt. Sie denkt nach. Sie sagt nichts. Dann spürt er es. Plötzlich ist ihm alles klar. Warum hat er das nicht
Weitere Kostenlose Bücher