Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In Gottes Namen

Titel: In Gottes Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
Vom Netzwerk:
sehr schmerzhafte Körperhaltung, das weiß er genau, weil sie damals in der Sowjetunion gelegentlich renitente Personen damit gefügig machten, ihren Widerstandswillen durch lange Perioden der Unbequemlichkeit brachen. Aber es kommt ihm nicht darauf an, ihr Schmerzen zuzufügen. Er musste sie nur immer wieder für längere Zeit verlassen und deshalb sicherstellen, dass sie sich nicht bewegt. Im Grunde hat sie in einer Art künstlichem Koma gelegen, seit er sie aus ihrer Wohnung verschleppt hat. Shelly Trotter, Shelly Trotter.
    Bei ihrem Anblick wird ihm klar, dass sie ohnehin völlig handlungsunfähig gewesen wäre, auch ohne die Handschellen. Das GHB hat gut gewirkt. Ihr Kopf zuckt unkontrolliert, sie stöhnt, aber sie kann nicht sprechen. Die Trainingshose, die er ihr übergestreift hat, ist verschmutzt von ihren Körperausscheidungen, der stechende Gestank übertönt den aseptischen Geruch der Reinigungsmittel. Ihr lockiges Haar ist flach an den Kopf geklatscht. Ihre Lippen bewegen sich unkontrolliert, Speichel rinnt ihr aus den Mundwinkeln.
    Er schließt das dritte Paar Handschellen auf, das die Handund Fußgelenke zusammensperrt. Ihr Körper reagiert, sie versucht sich zu strecken, so gut es in dem engen Raum geht. Er schleift sie aus dem Schrank. Die Fesseln an Händen und Füßen wird er ihr nicht abnehmen. Er erwägt einen Moment, ihr noch eine dritte Dosis Betäubungsmittel zu verabreichen, entscheidet sich aber dagegen.
    Draußen auf dem Flur hört er das Echo von Schritten auf der Kellertreppe. Er erhebt sich rasch, steht wie erstarrt da, atmet leise, lauscht. Er hört das Quietschen einer Tür – die Tür am anderen Ende des Kellergangs.
    Er zückt die Pistole und wartet.
     
    Ich zwinge mich weiterzugehen, mit weit ausgreifenden, aber disziplinierten Schritten, in Richtung der letzten Tür, dem Raum des Hausmeisters, in dem damals die Leichen gelegen haben. Dabei komme ich an anderen Türen vorbei, hinter denen er überall lauern könnte, um mich hinterrücks anzugreifen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Shelly sich im Hausmeisterraum befindet. Zwar hätte jetzt, in der Ferienzeit, jeder dieser Räume den Zweck erfüllt, aber Leo ist clever. Er hat versucht, dem Text des Songs zu folgen und die jüngsten Morde als Nachahmungstaten zu tarnen. Offensichtlich wollte er Albany die Sache in die Schuhe schieben, denn schließlich kannte der Professor die Texte besser als jeder andere. Alles sollte genauso aussehen wie beim ersten Mal.
    Ich erreiche die letzte Tür, bevor mir auffällt, dass ich weder einen Plan habe noch die Zeit, mir einen auszudenken. Ich drehe den Knauf der Tür und stoße sie auf, in der Hoffnung, dass ich nicht von einem Kugelhagel empfangen werde.
    Allerdings hätte er schon vorher jede Menge Gelegenheiten gehabt, mich zu töten.
    Ich betrete den Raum, und mir entfährt ein Stöhnen. Koslenko hockt an der Rückwand des Raums vor einem Schrank und drückt eine Pistole gegen Shellys Schläfe. Shelly ist nur halb bei Bewusstsein, ihre Haut ist leichenblass, sie trägt ein dreckverkrustetes T-Shirt und eine mit hässlichen Flecken übersäte graue Trainingshose. Meine Knie drohen einzuknicken, aber ich versuche, mich zu konzentrieren und meine Vorstellungen von dem, was sie durchgemacht haben mag, zu verdrängen.
    Das ist die Chance, um die ich gefleht habe. Meine einzige Chance. Es wird keine zweite geben.
    Ich reiße mich zusammen, ziehe meine Mundwinkel nach oben, und zwinge mir ein Geräusch ab, das sich so ähnlich anhört wie ein Lachen.
    »Okay, okay«, sage ich. »Machen wir uns an die Arbeit, Leo. An die Arbeit. Sie und ich.«
    Koslenko wirkt verändert. Sein Haar ist ein Stück weit rasiert, um den Eindruck einer Glatze zu erzeugen, und auch die Haarfarbe ist anders, ein schmutziges Blond. Er trägt eine Brille, doch sie kann diese toten Augen nicht verbergen, und auch nicht die halbmondförmige Narbe darunter. Neben ihm steht ein Gehstock.
    Clevere Verkleidung. Besonders die Halbglatze. Zusammen mit dem Humpeln und dem Stock macht sie ihn gut ein Jahrzehnt älter. Das schärfe ich mir noch einmal gründlich ein – er mag verrückt sein, aber er ist nicht dumm.
    Ich werfe einen Blick auf Shelly, die unwillkürlichen Bewegungen ihres Körpers, das Heben und Senken ihrer Brust. Sie lebt noch. Wie nahe sie dem Tod ist, vermag ich nicht zu sagen.
    Aber daran darf ich jetzt nicht denken. Ich darf mir nichts davon anmerken lassen, dass ich mich jetzt am liebsten auf die Knie

Weitere Kostenlose Bücher