In Gottes Namen
Er wirkte mitgenommen und schien Halt in vertrauten Ritualen zu suchen – dem Ausklopfen der Zigarette auf dem Etui, dem Aufklappen des Feuerzeugs, dem Blinzeln in die Flamme beim Anzünden. Er schob dem Chief das Etui zu, und dabei huschte sein Blick über die Unterlagen, die sich vor Paul stapelten.
»Erzählen Sie mir was über Terry Burgos«, forderte Riley ihn auf.
»Ich muss gestehen, ich mochte Terry«, sagte Albany mit entschuldigender Miene. »Er hat immer ohne Aufsicht gearbeitet und alles zur Zufriedenheit erledigt. Er hatte ein Händchen für Grafiken, war gründlich im Detail. Und er hat jeden Job zu Ende gebracht. Seinen Arbeitsplatz hat er immer sauber gehalten. Allerdings war er ein Einzelgänger, das stimmt. Selbst nachdem er seinen Tagesjob in Mansbury verloren hatte, wollte er weiter die Nachtschicht. Vermutlich hat er einfach lieber alleine gearbeitet. Und da er seinen Job gut erledigt hat, gab es für mich keinen Grund, ihm das abzuschlagen.«
Ein interessanter Punkt. Burgos hatte die Nachtschicht vorgezogen, obwohl er tagsüber nichts zu tun hatte. Paul ging davon aus, dass zumindest die Prostituierten in den Abendstunden entführt und ermordet worden waren, denn um diese Zeit nahmen die meisten Straßenmädchen ihre Arbeit auf.
»Von wann bis wann dauerte seine Schicht?«, wollte Lightner wissen. »Burgos meinte nur, je nachdem, was anstand.«
»Das trifft mehr oder weniger zu. Seine Arbeitszeiten waren flexibel.« Albany schlug ein Bein über das andere. »Wir haben immer Sachen, die während der Tagschicht nicht fertig werden, und die lassen wir dann für Terry übrig. Manchmal ist es Arbeit für zwei Stunden, manchmal auch für fünf.«
»Manchmal auch gar keine?«, fragte Lightner
Albany schüttelte den Kopf. »Wann wäre jemals nichts zu tun? Nein, wir haben immer was.«
»Sehr ungewöhnlich, so ein Job mit ungeregelten Arbeitszeiten«, bemerkte Riley.
»Es ist eben ein Job«, erwiderte Albany leicht gereizt, »bei dem man versucht, einem Menschen eine Chance zu geben. Er brauchte die Arbeit und kam mit dem Pensum klar. Wir haben beide davon profitiert. Dagegen ist doch nichts einzuwenden, oder?«
»Sie haben die Listen, auf denen er seine Arbeitszeiten notiert hat«, sagte Riley. »Die würden wir uns gerne anschauen.«
Albany nickte abwesend. »Und sonst arbeitet niemand mit ihm in der Druckerei?«
»Nein. Nachts war nur Terry da.«
»Woher wussten Sie, dass er seine Arbeitsstunden korrekt eintrug?«
»Ich wusste es nicht«, räumte Albany ein. »Ich habe ihm vertraut.«
Paul bemerkte, dass Joel Lightner Albany intensiv musterte.
»Welches Ihrer Seminare haben Ellie und Cassie besucht?«, fragte Riley.
Albany ließ den Kopf sinken. Vermutlich hatte der Professor bereits erfahren, dass Cassie Bentley und Ellie Danzinger zu den Opfern gehörten. Inzwischen wusste es wohl jeder.
»Es hieß ›Gewalt gegen Frauen in der amerikanischen Kultur‹. Wir haben uns mit der Glorifizierung von Brutalität gegenüber Frauen in der populären Kultur beschäftigt. Filme, Fernsehen, Musik.«
Gewalt gegen Frauen in der Musik. Wie passend. Riley war plötzlich hellwach, genau wie Lightner.
»Einen Moment.« Riley schob das Blatt mit dem Songtext über den Tisch. »Kommt Ihnen dieses Lied bekannt vor?«
Albany warf nur einen kurzen Blick darauf. »Natürlich. Das ist Tyler Skyes Song ›Someone‹«.
»Um Himmels willen.« Der Chief lehnte sich vor. »Solches Zeug unterrichten Sie?«
Albany musterte den Chief, als hätte er einen Studenten vor sich. »Wir haben es analysiert, in der Tat. Können Sie sich einen Song vorstellen, der die Problematik treffender auf den Punkt bringt?«
»Und wer ist Tyler Skye?«, erkundigte sich Riley.
»Der Mann, oder besser gesagt, der Bursche, der diesen Text geschrieben hat. Zu dem Zeitpunkt war er noch auf der Highschool. Ich meine, das ist doch die Hymne des zurückgewiesenen, unbeachteten Jungen schlechthin, finden Sie nicht?« Als ihm niemand antwortete, räusperte sich Albany und fuhr fort. »Tyler Skye hat diesen Erguss als Schüler verfasst und eines Nachts überall an der Schule plakatiert. Sie fanden raus, wer der Urheber war, und warfen ihn von der Schule. Ein Jahr später war der ehemalige Schulabbrecher der Leadsänger einer Garagenband namens Torcher. Und er hatte aus diesem Gedicht einen Song gemacht. Torcher war eine Weile ziemlich angesagt in der studentischen Underground-Musikszene des Mittleren Westens. Der Text ist nicht
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