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In Gottes Namen

Titel: In Gottes Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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Lauf der Zeit diverse Fotos von ihr vor die Augen gekommen sind; von Gwendolyn allerdings kenne ich nur ein einziges Foto, das aus ihrer Teenagerzeit stammen muss, und an das ich mich nur düster erinnern kann. Sie wirkte darauf wie eine echte Lake, so viel weiß ich noch, sie ähnelte Cassie, Natalia und vermutlich auch Mia, eine zarte Brünette mit einem glamourösen Touch, deren russische Abstammung sich noch in den hohen Wangenknochen und der langen Nase andeutete. Jetzt, sechzehn Jahre später muss sie zu einer echten Schönheit herangereift sein, der die besten Friseure und der kostbarste Schmuck vermutlich noch den letzten Schliff geben.
    Die Frau jedoch, die sich nun vom Steg her nähert, passt da nicht so recht ins Bild. Sie hat ein leicht rundliches, sympathisches Gesicht und üppiges rötliches Haar, das ihr offen über die Schultern fällt. Sie ist einfach gekleidet, in ein langes Hemd, abgeschnittene Jeans und Sandalen. Aber selbst durch ihre Hornbrille hindurch verrät das Glitzern ihrer hellgrünen, ovalen Augen noch das wunderhübsche Partygirl von damals; auch wenn aller Glamour zwanzig zusätzlichen Pfunden gewichen ist. Ihre Schönheit strahlt etwas Ruhiges, Friedliches aus, das genaue Gegenteil des ehemaligen Glitzer- und Luxuswesens. Damit ist sie durchaus eher mein Fall.
    Ich stelle mich und Shelly als Staatsanwälte aus der Stadt vor, und nach einem besorgten Blick – »Ist mit Nat alles in Ordnung?«, erkundigt sie sich nach ihrer Tante – nimmt ihr Gesicht wieder den alten Ausdruck an, der mir sagt, dass sie das aufregende Stadtleben hinter sich gelassen hat und froh darüber ist.
    »Wie haben Sie mich eigentlich gefunden?«, wundert sie sich.
    Warum?, würde ich am liebsten zurückfragen. Wollten Sie etwa nicht gefunden werden?
    »Es war leider keine Zeit, Sie anzurufen und einen Termin zu vereinbaren, sonst hätte ich das selbstverständlich getan. Entschuldigen Sie den Überfall. Aber es ist sehr wichtig, und wir werden sicher nicht viel von Ihrer Zeit beanspruchen.«
    Sie scheint unentschlossen, und ich bete, dass wir den Weg nicht umsonst gemacht haben. Andererseits – selbst wenn sie sich weigern sollte, kann ich daraus meine Schlüsse ziehen.
    »Wir vermuten«, sage ich schließlich, »dass erneut jemand nach den Zeilen des Songs mordet. Einige Menschen mussten bereits sterben.«
    Das gibt den Ausschlag. Ihre Augen werden groß, ihr Ausdruck wird weich. Sie zeigt hinter sich auf den Steg. »Ich wollte gerade ein kleine Runde drehen«, sagt sie.

29. Kapitel
    McDermott genügt ein kurzer Blick auf die Hochglanzfotos vom Opfer. Die Details kennt er bereits – die Wunde an der rechten Schläfe, das zertrümmerte Schädeldach -, ein Hagel von Schlägen muss auf die Frau niedergegangen sein. Wer auch immer der Täter war, er hat sich ohne Mitleid und ohne Hemmungen ausgetobt.
    Mehr braucht er nicht zu sehen, mehr will er auch nicht sehen.
    Stoletti angelt sich die Fotos von seinem Schreibtisch und blättert sie durch. Sie ist inzwischen lange genug seine Partnerin; sie weiß, dass er ein Problem mit weiblichen Mordopfern hat. Und sie ist clever genug, zu verstehen, wo das herrührt, auch wenn sie nie darüber gesprochen haben.
    Es ist kein bisschen leichter geworden. Er dachte, er bräuchte nur etwas Zeit nach Joyces Tod, um irgendwann wieder problemlos einer Leiche gegenübertreten zu können. Aber inzwischen sind vier verdammte Jahre vergangen, und noch immer zieht sich ihm alles zusammen – bei Frauen besonders. Bei Mordopfern beträgt das Verhältnis Frauen zu Männern üblicherweise vierzig zu sechzig. Das sind eine Menge Tatorte, die man lieber nicht besichtigen möchte; ein Haufen Fotos, deren Anblick man sich lieber ersparen würde.
    Nachts kann er die Bilder verdrängen. Auch bei hellem Tageslicht oder in der Hektik eines arbeitsreichen Tages gelingt es ihm, sie beiseite zu schieben. Aber irgendwas an den Tatorten selbst, der Geruch, die unabweisbare Präsenz des Todes, ruft ihm alles wieder nur allzu deutlich in Erinnerung: das leere Starren ihrer Augen, die verrenkte Haltung – ihre Beine in Totenstarre überkreuzt, ihr Körper ausgestreckt auf der rechten Seite liegend, wie eine umgestürzte Statue – und dann die Blutlache, die sich bis zur Badewanne erstreckte, in der die kleine Gracie hockte, die Augen fest geschlossen, die Händchen auf die Ohren gepresst, sanft mit dem Oberkörper schaukelnd.
    Er betrachtet irgendwelche Opfer, so wie die Frau hier auf den

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